Martin Luther und das Oktoberfest (#3)

Bei mir an der Hauswand steht auf der Straßenseite: OKTOBERFEST HAUSBIER in gelb, rot und schwarz. Weiter oben im alten Dorf weist einem auf einer Mauer “Oktoberfest Gasthaus” den Weg. Ich bin also ganz leicht zu finden.

Erion hat sich dies in einer ruhigen Minute ausgedacht und angebracht, ihm zumindest bin ich ein Gasthaus, das er regelmäßig aufsucht, wenn es ihm im letzten Haus des Dorfes zu langweilig wird und er Unterhaltung braucht. Wobei die Unterhaltung daraus besteht, dass er mir seine Ideen unterbreitet. Und Erion hat eine Menge Ideen.

Er bewundert zum Beispiel Robert Diesel für die Erfindung des Verbrennermotors und hat die Dorfschule per Graffiti einfach entsprechend umbenannt. Auch dort hat man sich bisher nicht die Mühe gemacht, den Schriftzug wieder zu entfernen und ich gehe davon aus, dass niemand glaubt, ich wäre dies gewesen. Und wenn schon: Manche der Älteren, die den Kommunismus noch kennen, halten mich eh für einen Spion, der vom Dorf aus die Küstenlinie auskundschaftet – was irgendwie ja sogar stimmt. Wenn herauskommt, dass ich eine Reihe an alten albanischen Militärkarten besitze, sitze ich ganz schön in der Patsche!

Jedenfalls ist Erion gegen Mitsubishi, weil die Japaner europäische Technologie geklaut hätten. Und er ist gegen die Dorfkirche, weil die sich ausschließlich für Todesfälle zuständig fühlen würde, nicht aber für Hochzeiten. Das mit den Hochzeiten hat deswegen Erion in die Hand genommen, indem er einen “EUROPEAN MATRIMONIAL SERVICE” zu gründen beabsichtigt und dies unlängst mit einem Graffiti an den Kirchenmauern kundtat.

Dieses wurde natürlich sofort übermalt und nach dem Schuldigen gefahndet. Erion zog seinen Kopf aus der Schlinge und behauptete “Martin Luther” könne es gewesen sein, der sei Protestant. Gerade warte ich ab, ob es denn stimmt, dass sich der Dorfpriester beim orthodoxen Bischof in Tirana über mich beschwert hat und ob Folgen zu befürchten sind. Insgeheim aber plane ich, “MARTIN LUTHER” auf Erions Hausmauer zu malen.

Dass mit Martin Luther ein Deutscher im unteren Dorf wohnt und Schriften verfasst, erzählt Erion gelegentlich auch den Touristen, die jenen dann regelmäßig eher nicht besuchen wollen – trotz Erions Anregung und dem unerbittlichen Hinweis, dass Luther hier für die Wege und die Orientierung zuständig sei. Und nicht Mitsubishi oder eine irgendeine Agentur aus Tirana, die den Hikern GPS-Geräte umhängt und auf gut Glück losschickt. Dieser Claim wurde schon letzte Saison durch den Schriftzug LUKOVA TOURIST EXCURSION an neuralgischen Punkten unterstützt.

Nicht alle von Erions Ideen sind Spinnereien, vor zwei, drei Jahren kam er drauf, wir sollten doch mal Paulaner kontaktieren, die würden uns doch sicher sponsern. Hab ich auch gemacht und in München fand man es witzig, 25 Paulaner-T-Shirts mit dem nächsten LKW auf den Weg zu schicken. Als Adresse hatte ich Gjergjis Taverne angegeben, denn der schenkt ja Paulaner aus, und ein Foto vom Personal versprochen, wie alle die T-Shirts tragen.

Nun, mehr als die Hälfte der T-Shirts ist in Tirana geblieben, der Großhändler hat sie veruntreut und Gjergji den Rest. Zu einem Foto ist es nie gekommen und Erion hat noch nicht mal ein einziges T-Shirt abbekommen. Obwohl es doch seine Idee war und noch dazu eine gute!

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