Splendid Isolation (Tagblatt #2)
Ich wohne im unteren Dorf, in einem der alten Häuser am Hang. Mit dem Auto kommt man dort nicht hin, man muss zu Fuß über einen Pflasterweg und Stufen hinunter. Kaum jemand macht dies und schon gar nicht ohne Anliegen.
Das alte Dorf ist also in dem Sinne isoliert, als dass von außen nichts zu ihm dringt – es liegt abgeschieden und ist nur lose mit dem dem neuen Dorfkern und der Durchgangsstraße verknüpft: Viele fahren vorüber und ahnen nichts von den Gärten und den Häuserzeilen unten am Hang.
Freunde sagen, ich solle doch umziehen, ein Apartment in der Stadt nehmen, ein Auto kaufen, mobiler werden. Aber mir fehlt nichts, ich mag die Gleichförmigkeit, den ununterbrochenen Faden der Tage, an dem wir leben. Mein Nachbar Erion schert sich nicht um das Datum, er weiß auch nicht, welcher Wochentag gerade ist – so etwas wie ein Wochenende oder Feiertage gibt es bei uns nicht – manchmal will er sogar wissen, welcher Monat ist.
Für Brot, Neuigkeiten oder einen Kaffee müssen wir hinauf, ganz hinauf bis zur Küstenstraße, wo heute das Dorfzentrum liegt. Dort merkt man das Fortschreiten der Zeit deutlicher, der Alltagsrhythmus speist sich aus mehr als nur dem Sonnenverlauf, den Wetterwechseln und den Schattierungen des Meeres. Es gibt ein paar Bars, Publikum und Verkehr, Fremdenverkehr.
Letzten Sonntag wurde ich unvermittelt nach oben zitiert, ein Freund rief mich an und gab das Telefon an eine Österreicherin weiter, die er aufgegabelt hatte. So ist das hier: Für verlorene Fremde vor allem deutscher Zunge bin ich zuständig, manchmal gibt man dehydrierte Wanderer bei mir am Tor ab und lässt mich machen. Der Anruf war ein Fanal, ein Zeichen, dass auch für mich die Tourismussaison begonnen hatte und mit jener hektischen Form von Sozialleben einhergehen würde, die dadurch entsteht, dass man sich auf Durchreisende einlässt.
Das Jahr hat zwei Teile, den der kurzen Tage und den des langen Lichtes der Saison. Die Österreicherin war mit dem Mietwagen unterwegs und hatte diesen auf der Piste zum Strand leicht lädiert. Sie liebäugelte damit, an der Küste ein Haus anzumieten (diese Idee werden im Verlauf des Sommers noch viele andere haben) – um dauerhaft dort zu wohnen, samt ihren sechs Katzen aus Wien, die sie mitbringen würde.
“Das Leben hier ist anders, als du es Dir vorstellst.” sagte ich.
“Inwiefern?”
“Härter.”
Aber das Meer wurde ja gerade warm, die Nachmittag würden bald schon zu nichts mehr zu gebrauchen sein und die Abende lang werden, in der Taverne oder am Strand enden. Wenn ich hier nicht schon leben würde, ich glaube, ich würde auch hier wohnen wollen. Aber, ehrlich gesagt, Katzen gibt es hier schon reichlich.