Tagblatt #1: Weil wir ham ja nicht ewig Zeit

Journal und Journalismus kommen von französisch jour – der Tag. Der geht mir seit geraumer Zeit recht schnell flöten im Gewitter von Lohnarbeit, Nachrichten und Alltagsrhythmen. Das Leben andernorts ist unterm Strich gar nicht so anders, jedenfalls nicht, wenn man zu tun hat.

Die Sonne brüllt, ich sitze drinnen und schaffe. Draußen hat seit 36 Stunden der Sommer übernommen, die wochenlange Schicht aus Staub und Dunst über der südlichen Küste hat sich heute erst geklärt – der Sommer wird sehr groß.

Die Farben sind explodiert, die Bougainvilleas strahlen um die Wette, daumendicke Brombeeranken schieben sich zentimeterweise vorwärts, der Pfad hinunter zum Strand ist stellenweise zugewuchert. Der Frühling war feucht, fast jeden Tag Regen. Daher der Dschungel. Kann sein, das dies mein letztes Jahr hier ist, hier im Dorf in Südalbanien. Vor acht Jahren habe ich Deutschland verlassen, vor acht Jahren bin ich über Italien zurück nach Albanien. Das erscheint mir, obwohl in der Zwischenzeit soviel passiert ist, entsetzlich lange. Vor fünf Jahren kam ich in mein Dorf und blieb.

Mein Schreibtisch besteht aus zwei “kommunistischen” Nachttischen und einer weißbemalten Platte, der Stuhl entstammt einem längst aufgelösten Café, mein Nachbar hat ihn mir zum Einzug geschenkt, als ich außer einem strohgefüllten Sofa noch keine andere Sitzgelegenheit hatte. Hier also sitze ich, in dem einen Fenster die Ionische See, im anderen der Höhenzug des Ceraunischen Gebirges mit dem Mali i Cika. Hier sitze ich und schreibe über Orte in Danzig, in Bozen oder über Wanderrouten im Fränkischen.  Lauter Aufträge, die mein Glück sind, weil ich deswegen genau hier sitzen kann.

Worüber ich aber sonderbarerweise nicht schreibe, ist mein Dorf. Obwohl genau das doch meine Geschichte ist – ich habe ja inzwischen selbst hier so etwas wie eine Vergangenheit, kenne mehrere Generationen an Hunden und war mehrfach mit am Friedhof, um jemandem Lebewohl zu sagen.

Ich werde das ändern, und zwar genau so wie vor acht Jahren auch. In dem ich das hier aufschreibe, im Blog, und Alltägliches notiere. Weil das am leichtesten ist. Ich werde jetzt Journalist!

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