Pogradec am Ohridsee

Es ist ein bisschen absurd, aber es gibt keine Verkehrsverbindungen zwischen Pogradec und Ohrid oder Struga. Pogradec liegt am südlichen Ufer des Ohridsees in Albanien, Struga am nördlichen sowie Ohrid, das berühmte Ohrid, am östlichen in Mazedonien. Nachts kann man von Pogradec aus die Lichter schimmern und blinken sehen, vom anderen Ufer aus, von Mazedonien, aber man kommt nicht hin. Jedenfalls nicht mit dem Bus und nicht auf direktem Weg.

Blick über den Ohridsee nach Norden, Zimmer 413

Blick über den Ohridsee nach Norden, Zimmer 413

Der Ohridsee gilt als einer der ältesten der Welt, entstanden vor Millionen von Jahren durch Grabenbruch. Er ist ohne größere Zuflüsse, hauptsächlich von unterirdischen Quellen gespeist – ein klassischer Bergsee könnte man meinen, wäre er nicht so riesenhaft. Der See liegt zu gleichen Teilen in Mazedonien und in Albanien, ist von Bergmassiven umgeben und wirkt mit seiner meist schimmernd-glatten, unaufgeregten Oberfläche ein wenig weltvergessen. Pogradec ist dies allemal, gerade mal drei Etagen eines Flügels des immensen Hotelkomplexes Enkelana sind geöffnet. Die eine wird von einer sagenhaft geschwätzigen, ältlichen deutschen Bikertruppe bewohnt, Germany steht in Blau und Fraktur hinten oben auf ihren Lederwestchen – würde man ihnen die Uniform wegnehmen, sie fielen auch am Ballermann nicht weiter auf. Die zweite Etage ist albanischen Familien und Handelsreisenden vorbehalten, auf der dritten residiere ich ganz alleine. Ich muss dazusagen, dass man in der gesamten Region nicht für das Zimmer bezahlt, sondern pro Person. Das macht mir Hotels sehr erschwinglich und ich mag Hotels, weil sie Rückzugsräume sind. Ich kann ganz in Ruhe von Terrasse zum Zimmer und zurück wechseln, zwischendrin einkaufen, niemand fragt, niemand will etwas, nichts passiert und ich bin alleiniger Herr meines Tagesablaufes.

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Hotel Enkelana, Zwischenetage wenn man nicht den Aufzug nimmt

Im Sommer aber gehört Pogradec ob des angenehmen Klimas zu den Lieblingszielen der Albaner, dann ist die Stadt voll, das Enkelena ausgebucht und auf der Promenade abends kaum Platz. Dann fährt überdies ein Schiff nach Ohrid, zweimal täglich, und auch die heilige Stadt Ohrid schräg gegenüber, die Stadt der 365 orthodoxen Kirchen, ist dann gut besucht, die Zimmer und Zimmerchen ausgebucht, aber noch ist es nicht soweit. Vor Jahren, mitten im Winter, war ich schon einmal in Ohrid und bin von dort aus über Sveti Naum nach Pogradec gereist. Die Bergipfel waren tiefverschneit, die Luft kalt und nass, Pogradec war mir grau erschienen, kalt und unbelebt, die gesamte Gegend ein wenig unwirtlich. Das ist jetzt völlig anders, die Vegetation ist üppig, die Sonne hat die Farben geweckt, die Luft aber ist von einer sanften Frische, von jener ruhigen Belebtheit, die es nur an Seen gibt. Auch die Berge wirken auf mich weniger schroff, wirken runder und sanfter, aber das täuscht, das liegt daran, dass Pogradec schon auf 600 Meter über der See liegt und die Gipfel der Zweitausender näher gerückt sind.

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Der mazedonische Galicia-Gebirgszug im Winter von Pogradec aus

Aus den Augenwinkeln habe ich gesehen, wie mein Fahrer seinen Wagenpapieren einen Schein beigelegt hat, es muss der mazedonische 100-Dinar-Schein gewesen sein. Daraufhin geht mit den Papieren alles ganz schnell, der mazedonische Zoll interessiert sich auch nicht für mein Gepäck, ganz im Gegensatz zum albanischen zuvor.
Mit dem Furgon war ich von Pogradec aus bis auf den Höhenzug gefahren worden. Dort, nach einigen Serpentinen, führt eine Abzweigung die Anhöhe entlang direkt an die kleine Grenzstation. Auf der anderen Seite geht es hinab in das Tal des schwarzen Drin und nach Struga an den Ohridsee zurück. Ursprünglich hatte ich vorgehabt, die kurze Strecke bis zur Grenze zu laufen, dahinter würde sich schon etwas finden. An der Abzweigung jedoch waren einige Mercedesbenz stationiert, und einer der Fahrer erbot sich, mich bis nach Struga zu fahren, für zehn Euro. Also gut, gesagt, getan.

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Promenade von Pogradec

So kommt es, dass ich bereits vor Mittag in Struga bin und die angeblich pittoresque Altstadt suche. Es gibt sie nicht, oder nicht mehr, wer weiß. Es gibt allerhand Schilder, mehr Schilder und Beschriftungen, Reiseagenturen, Restaurants, wesentlich mehr „Zimmer zu vermieten“ als in Pogradec. Es sieht aus, als wäre hier im Sommer die Hölle los, das aber kann ich kaum glauben.

Dieses etwas verschobene, im Vergleich leicht extrovertierte Erscheinungsbild ist auch schon der einzige Unterschied. Auch in Struga steht ein Minarett unmittelbar neben einer orthodoxen Kirche, auch in Struga wird albanisch gesprochen. In Struga schaut ein fetter, schwarzgekleideter orthodoxer Priester minutenlang auf sein Handy, sitzen allerhand kurzgeschorene, nicht mehr ganz junge Männer in den Cafés und diskutieren nicht vorhandene Möglichkeiten, flanieren niederländische Touristen entlang der etwas traurigen Promenade am Seeufer auf und ab, mieten schließlich abgetakelte Tretboote oder essen sishkepab oder quofte mit patate und domate auf Kyrillisch.

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Struga, pittoresques Zentrum

Sämtliche Taxifahrer, die mich erspähen, gehen automatisch davon aus, dass ich nach Ohrid will. Ich will aber nicht nach Ohrid, ich will dem Lauf des Drins folgen, welcher den Ohridsee im Norden entwässert und in einer langen Kurve über Peshkopi und Kukes hinunter nach Shkoder fließt, zur Adria. Die Natur hält sich nicht an Landesgrenzen, warum also sollte ich das tun?

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