Quasi per errore in Perugia
In Perugia hat man Verständnis dafür, dass ich Rom gescheut und mich lieber zweieinhalb Stunden in den Zug gesetzt habe. Rom sei einfach zu groß. Geschüttet hatte es dort aus Kübeln, der Termini war von Schirmverkäufern umlagert, das Essen überteuert, die Hostels ebenso. Nichts vernünftiges zu finden, also weiter, quasi per errore nach Perugia. Am Abend ist der Regen vorüber, Perugias Straßenpflaster glänzen, die Luft ist kühl, alles riecht wie frisch gewaschen und stellenweise ganz eindeutig nach Seife. Stefano holt mich am Bahnhof ab, was in Perugia wichtig ist, wie mir während der kurzen Autofahrt klar wird, während der wir gut und gerne 200 Höhenmeter gewinnen.
Die winzige Mansarde, die ich für zwei Nächte beziehe, hat Stefano selbst ausgebaut, um Platz zu gewinnen für einen von vier Söhnen. Alles geht sehr schnell, ich bekomme drei nicht klar zuzuordnende Schlüssel, eine ungenaue Karte mit einem ungenau plazierten Kreuz, und sofort sind wir wieder unterwegs: Ich werde zu einem Laden gebracht, der auch Sonntagabends noch auf hat. Von dort aus spaziere ich in der einsetzenden Dunkelheit zum centro storico hinüber, komme an der Universität vorbei, steige hinab und wieder hinauf, laufe im Kreis und verlaufe mich gründlich.
Perugia ist im Wortsinne erhaben, liegt exponiert wie auf einer Landzunge inmitten umbrischen Hügelmeers. Wobei unklar ist, wieviel Erhabenheit der Natur geschuldet ist und wieviel Meter den älteren Siedlungen, auf welche die neueren seit tausenden Jahren aufgesattelt worden sind. Zum etruskischen Brunnen geht es tief hinab, man steigt aus der Mitte der Stadt über Treppen in ein Untergeschoss der Zeit, um die Reste einer älteren Zivilisation zu sehen. Es sind Steine, rund angeordnet, wenig fotogen, aber eben etruskischen Ursprungs, wie die gesamte Stadt. Perugia ist im Wortsinne weitläufig, die Straßen und Gassen Perugias winden sich um die Hänge, verlaufen in Kurven, münden in Gässchen, welche sich früher oder später zu Treppen und Stiegen verengen. Es ist ein einziges Auf und Ab, ich verlaufe mich am nächsten Tag erneut, habe keine Ahnung wo ich bin, vergleiche den ungenauen Plan mit den Details der Wirklichkeit, finde aber nie die Gasse, in der ich mich aufhalte, und werfe ihn schließlich weg.
Erst als ich auf den Corso treffe und damit Perugias Obergeschoss erreicht habe, ordnen sich die Hügel und Hänge, die Plätze und Gassen um diesen Bezugspunkt. Genau entlang der Hügelschulter verläuft weiß, weit, eben und schnurgerade der Corso Vannucci, Zentrum und Hauptstraße vor allem des abendlichen städtischen Lebens. Von diesem Scheitelpunkt aus entfalten sich die Viertel, die Kirchtürme und die verschiedenen Ebenen der Stadt.
Die Frizz-Bar in meinem quartiere ist für alles zuständig, für caffè und Frühstück, für pranzo, für Nachmittagsbier und bunte Mischgetränke, für die Jungen und die Alten gleichermaßen. Ästhetik spielt dort im Gegensatz zu den Bars des centro storico eine untergeordnete Rolle, es geht um Funktionalität. Auch die Preise unterscheiden sich erheblich zum Haupthügel, der Cappuccino kommt für einen Euro. Ich darf mich mit Computer niederlassen und bekomme Strom spendiert. Als die beiden Betreiber auf einen Sprung nach draußen kommen, sich zu einem weiteren Gast an einen der Tische setzen, fällt mir auf, das nicht mehr Italienisch gesprochen wird, sondern ein anderes mir halbwegs vertrautes Idiom. Erst bin ich irritiert, dann aber fast sicher und frage nach. Und wirklich: Albaner. Der eine kommt aus Laç, das ich kenne, was ihn wundert. Der andere aus Kruja, das ich ebenfalls kenne, was ihn ebenfalls wundert. Der dritte aus Tepelena, das ich nicht kenne, vermutlich aber bald kennenlernen werde. Wir bestaunen uns gegenseitig.
Sie gehen schüchterner mit ihrem Albanertum um, als ich es gewohnt bin. Leise wird gelächelt und verhalten geantwortet. Zu groß waren die Mühen, sich in Perugia einzugemeinden, zu weit der Weg von Laç, Kruja und Tepelene nach Umbrien, zur eigenen, italienischen Bar.
Ich sitze noch in Jogginghose und Puschen vor dem Computer, organisiere meine Weiterfahrt, als plötzlich eingeräumt wird und die Bar vorzeitig schließen soll. Man feiere einen Geburtstag, im Obergeschoß. Ausgeschlossen, dass ich jetzt ginge, das käme überhaupt nicht in Frage! Es wird ein langer Abend: Die Reise nach Albanien beginnt quasi per errore in Perugia.