Zehn Tage.

Wenn Lorenzo keinen Kaffee gemacht hat, dann ganz bestimmt Felice. Und fiel der aus, dann war Miran an der Reihe oder eben ich. Drei Bialetti-Kannen standen zur Auswahl, die kleine, die große oder die ganz große. Die Packungen, die wir durchgezogen haben, habe ich nicht gezählt, aber gegen Ende des Seminars waren wir bei einer pro Tag. Und das obwohl die Damen in der Küche, Camilla, Anna, Saara, Simona und Raffaela, dem Koffein nicht ganz so zugesprochen haben wie die Herren. Bemerkenswert wäre das alles nicht – in anderen Küchen werden ganz andere Stimulanzien konsumiert – hätte es sich nicht um die Küche eines Meditationsseminares gehandelt, genauer: um die Gemüseküche eines Vipassana-Kurses.

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Ein 10-Tages-Vipassana-Kurs ist so etwas wie die Muckibude unter den Meditationskursen und von Wellness soweit entfernt wie Kunstrasen von der Serengeti. Vipassana ist eine Art Meditations-Boot-Camp: Der tägliche Rhythmus ist straff, Wecken ist morgens um vier, Licht aus abends um halb zehn. Dazwischen wird gesessen, geschwiegen, geruht und gegessen. Geld verlangen die Vipassana-Zentren für ihre Meditationskurse nicht, wohl aber Disziplin und Durchhaltevermögen. Licht ist umsonst, Luft desgleichen und Einsicht eben auch. Nur, dass Vipassana für die Einsichtnahme volle zehn Tage veranschlagt und einem zu eben diesem Zweck weltliche Ablenkungen wie Bücher, Mobilfunkgeräte oder Zeitungen abnimmt. Nichts soll, nichts darf die Besinnung stören. Man könnte meinen, das sei schwer, ist es aber erstaunlicherweise nicht – oder zumindest nicht lange. Drei, vier, manchmal auch fünf Tage braucht es, dann setzt unweigerlich die Gewöhnung ein sowie die Entspannung des Geschehenlassens, des Beobachtens vornehmlich innerer statt äußerer Vorgänge.

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Ich schreibe „vornehmlich“, weil die Außenwelt ja nicht aufhört zu existieren, die Nachrichten von ihr sich aber auf das Sicht- und Fühlbare beschränken, auf den Wind, den Regen, den Blick ins Tal. Ich erinnere mich an meinen ersten Kurs, als ich irgendwann begann, die Welt mit Kinderaugen zu sehen und ein einzelner Löwenzahn zu einer Oase anwuchs, Gras zu Palmenblättern und Steine zu Gebirgen. Geredet wird nicht, jedenfalls nicht mit den anderen Meditierenden, mit den Lehrern und der Seminarleitung natürlich schon, das versteht sich von selbst. Langsam, mit jedem Tag ein stückweit mehr, versiegt auf diese Weise der Input des Denkens, so dass schließlich auch der Output zurückgeht, Konzentration einsetzt und Platz wird, für Altes und Neues zugleich, für das, was jemand wie Heidegger vermutlich das Eigentliche nennen würde. Vipassana bedeutet Einsicht und diese Einsicht ist auf den Körper bezogen, auf das, was sich innerhalb des körperlichen Rahmens konkret an Empfindungen, an Gefühlen und Gefühltem von Sekunde zu Sekunde zeigt, aufsteigt, anhält, vergeht und akzeptiert werden will.

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Nun ist Italien vermutlich das einzige Land, dessen Vipassana-Zentrum Peperonici zur freien Verfügung auf den Tisch stellt. Die unweigerlich einsetzende Hitze während des Meditierens will ebenso beobachtet sein, wie die konkrete Auswirkung von Teein und Koffein, was in Deutschland meiner Erinnerung nach nicht der Fall ist. Aber dort wird auch nicht für 60 Leute Pasta gekocht und man erfreut sich ja generell eines disziplinierteren, strengeren wenngleich etwas unfroheren Rufes. Mit den Vor- und Nachteilen, die damit einhergehen.

Zehn Tage können sehr lang sein. Und sehr reich. Zehn Tage in der Küche eines Vipassana-Seminars können eine lange, sehr reiche, sehr lehrreiche Reise sein. Ich bin dankbar dafür und ein bisschen stolz, wie wir das geschaukelt haben, der 64-jährige Miran, die Saara und der Aleks aus Slowenien, Anna und Camilla aus Genua, Lorenzo, Felice und die anderen.

PS: Lorenzo hat übrigens den stärksten Kaffee gemacht, der je eine Bialetti verlassen hat. Tödlich für jedwede Meditation.

 

 

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