Der Krieg der Mäuse (#6)

Gleich nach mir zogen die Mäuse ein, vorher kann es nicht gewesen sein, das hätte ich bemerkt. Eines Tages erwachte ich sehr früh von einem Trippeln – etwas wanderte über die Holzdecke, sah sich in allen vier Ecken um und zog Kreise. Aus unerfindlichen Gründen dachte ich an einen Siebenschläfer, wohl weil das niedlicher klang und mich besser wieder einschlafen ließ. Zudem hatte ich keine Vorstellung, wie die Lärmquelle auf den Dachboden gekommen war – etwa von außen, die Hausmauern hoch?

Das morgendliche Getrippel steigerte sich innerhalb kurzer Zeit zum Radau, zu einer Rally über die Holzdecke. Selbst als ich feine, dunkelgraue Krümel auf der Luftmatratze entdecke, die offensichtlich aus den Deckenritzen gerieselt waren, schaltete ich noch nicht. Erst als direkt vor mir eine Maus in atemberaubender Geschwindigkeit im Treppenverschlag verschwand, ging mir ein Licht auf. Unter der Treppe befand sich eine Art Vorratslager aus Bauschaumkrümeln, Schlämmkreidestückchen und Stofffetzen, wahrscheinlich lag dort der Sortierplatz für Essbares und Unverdauliches. Ein faustgroßes Loch war in die Holzverblendung gefressen, von hier aus führte eine Mäuse-Autobahn zu den Stützbalken und weiter in den zweiten Stock.

Das Loch in der Zwischenwand des Obergeschosses entpuppte sich ebenso als Mäusetor wie zwei kleinere, säuberlich ausgefräste Halbbögen in den Fußbodenleisten. Keine Ahnung, wo noch überall Tunnel verliefen, aber wenn ich nicht aufpasste, würden sich die Mäuse fröhlich vermehren und am Ende das ganze Haus auffressen. Eines Nachts würde die Holzdecke nachgeben und mich erschlagen, wenn ich nicht schon zuvor an Mäusekot krepierte. Es begann das, was ich den Krieg der Mäuse nenne.

Ich hatte schonmal eine Maus, in Berlin, im umfassend renovierten Altbau. Auch die hatte mir Rätsel aufgegeben bis sie eines Tages vorbeispaziert kam, als ich gerade in der Badewanne lag und die Tür offengelassen hatte. Die Maus war von der Küche unterwegs ins Schlafzimmer, hielt inne, wendete den Kopf und blickte mich sekundenlang an, um dann gemessenen Schrittes weiterzuziehen. Ich besorgte eine Lebendfalle, die eines Abends zuschnappte, ich dann aber die Maus aufgrund von deren und meiner eigenen Panik sofort auf den Balkon entließ und die Tür zuschmiss. Natürlich ließ sich die Maus nicht auf Knöterich, Efeu und die freie Wildbahn ein, wenig später war sie wieder drinnen. Das Spiel begann von vorne, bis die Falle erneut zuschnappte. Diesmal trug ich sie über die Straße bis zum Kinderspielplatz.

In Lukova steht es im Moment 4:3 für mich. Wobei ich von Anfang an zu Gift griff, auf Anraten des Herren in der Veterinärapotheke in Saranda nämlich zu kleinen, fluoreszierend-grün befüllten Säckchen italienischer Provenienz. Diese solle ich an den Futterplätzen verteilen und abwarten: die Mäuse würden sich verkriechen, bevor sie das Zeitliche segneten.

„Aber doch nicht auf dem Dach?“

„Meistens suchen sie das Weite, sie rennen davon, weil sie glauben, so dem Gift entgehen zu können.“

Ich hielt das für einen Verkaufstrick, ganz genauso wie die vermeintlich italienische Herkunft der Giftpakete. Aber genauso kam es, der Radau ließ nach und Tage später fand ich zwei Mäuseleichen im Garten: ungemein fette, wohlgenährte Tierchen mit glänzendem Fell. Auf ein weiteres, von der Sommerhitze komplett mumifiziertes Mäuseüberbleibsel stieß ich Monate später im Keller: Es saß zwischen den Fußbodenbalken und dem Fels, auf dem das Haus zur einen Hälfte hin erbaut wurde, also auf meiner Augenhöhe. Und es schien mich anzustarren, ganz so als läge ich in der Badewanne.

Dieses Jahr habe ich erneut Gift ausgelegt, zum inzwischen vierten Mal. Die Mäuse waren während meiner Abwesenheit in eine Küchenschublade eingedrungen, in der meine Vorräte an Nüssen, Haferflocken und Süßkram lagerten, das Resultat rechtfertigt die Rede von Krieg. Das italienische Produkt gibt es allerdings nicht mehr, stattdessen ein gräuliches Granulat, das wenig vertrauenserweckend aussieht und von den Mäusen auch nicht mitgeschleppt, sondern vor Ort verzehrt wird. Offensichtlich ist es aber ebenso wirksam, denn es herrscht wieder Ruhe – vorübergehend, den Krieg der Mäuse kann man nicht gewinnen, nur Etappensiege sind möglich.

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