Inselbegabung: der Winter mit Mallorca

Dass die Produktionsbedingungen für Literatur und Sachbücher etwas suboptimal sind, sollte von vorne herein klar sein: Autoren werden häufig mit einem Pausenbrot abgespeist bzw. auf Tantiemen vertröstet, die irgendwann fließen sollen…

Blick über Rugova

Blick über das Rugovatal von oberhalb der Hütte

…egal was man anstellt, es gibt selten mehr als einen Euro pro verkauftem Buch. Das ist ungefähr der Schnitt beim Verkauf von Obdachlosen-Zeitungen, wo dann allerdings keine Steuer anfällt und man in die Produktion nicht involviert ist.

Den Vogel abgeschossen in Sachen Suboptimalität aber habe ich selbst im vorletzten Winter, also im Corona-Winter Nr. 1. Und das kam so: Für den Conbook Verlag war ich mit einem kulinarischen Reiseführer über Mallorca beschäftigt, hielt mich aber auf dem Balkan auf, genauer gesagt in Südalbanien wo ich ein altes Haus angemietet habe und dort zu wohnen versuche. Die Deadline für die Texte rückte näher und noch ahnte ich nicht, dass die Veröffentlichung coronabedingt um mehr als ein Jahr verschoben werden würde. Deshalb war ich einerseits auf der Suche nach einem Schreibasyl (möglichst abgelegen, wegen der Konzentration) und andererseits auf der Flucht vor den albanischen Visa-Bestimmungen, die mich nach mehr als drei Monaten im Land schnell außerhalb von diesem sehen wollten.

Mein Dorf, bzw. der untere Teil davon: Südalbanien.

Länder zu wechseln war aber Ende 2020 gar nicht so leicht, Griechenland war komplett dicht, Montenegro ebenso – und daher blieb mir nur der Weg nach Kosovo. Genau diese Geschichte erzähle ich in dem Buch Verfluchte Berge – was ich dort nicht erzähle bzw. nur am Rande erwähne, ist, dass ich in der Tat in den Verfluchten Bergen des Kosovo auf einer Berghütte saß, um das Mallorca-Buch fertig zu schreiben. Zitat aus den Verfluchten Bergen: „Neben eigenen Projekten wollte ich ein Buch über die kulinarischen Traditionen Mallorcas zusammenstellen, inklusive Rezepte und Schritt-für-Schritt-Anleitungen. Es war nicht ohne Witz, dass da jemand in den kosovarischen Bergen saß und über mediterrane Kochkunst schrieb. Aber erstens dachte ich kaum darüber nach – sondern darüber, wie ich die Arbeit organisieren würde und was ich täglich zu leisten hatte. Zweitens sitzen ganz viele Leute in Berliner Hinterhöfen und schreiben dort über ferne Welten. Drittens war eine fortlaufende Beschäftigung gewissermaßen Bedingung, um hier oben zu bestehen. Ohne würde man wahrscheinlich schon nach wenigen Tagen wahnsinnig werden oder versumpfen. Das Manuskript beziehungsweise die näher rückende Deadline war kein ganz unwichtiger Grund, dass ich überhaupt auf die Idee gekommen war, nach einer Hütte zu fragen: Rückzug, um zu schreiben, ist ein völlig natürlicher Reflex. Je weniger äußere Einflüsse, umso effektiver der Schreibfluss. Zudem war ich bereits ein wenig in Verzug, kam also nicht umhin, Disziplin walten zu lassen und mich Tag für Tag weiter vorzuarbeiten. Material hatte ich dabei, einen Plan ebenso, vieles war schon geschrieben, noch mehr jedoch zu tun.“

Der Witz dabei war nicht nur die location, sondern auch, dass ich dort oben von allem abgeschnitten wurde: Ich wurde so richtig eingeschneit und meine Vorräte schwanden. Zuletzt aß ich Reis mit Brühe. Schrieb dabei aber über Olivenöl, die Orangen von Soller im Besonderen und die Insel der Fülle im Allgemeinen. Die Hütte lag ausgesetzt inmitten der Wildnis und eines Nachts hörte man die Wölfe heulen.

Ich saß auf einer Insel des absoluten Mangels und schrieb über jene der Fülle. Und ja: Komischerweise, und zu meinem eigenen Erstaunen, das geht! Ich erinnere mich an eine 10-tägige Fastenkur, während der ich ab dem dritten Tag Rezepte gelesen und ab dem vierten Tag einkaufen ging – mich also, obwohl ich das Fasten beibehalten hatte, intensiv mit der Zeit danach beschäftigte. Auf einer Berghütte aber geht das nicht. Und weil das nicht geht, geht es!

Also, ich meine, das Schreiben geht: Über die Hausschlachtungen auf Mallorca, die Sobrassada, das Bauernbrot – ohne dass man gleichzeitig verrückt wird. Es geht, wenn man Disziplin an den Tag legt, sich also einen Plan macht und die Themen Schritt für Schritt abarbeitet. Komischerweise aber war die Mangelhaftigkeit meines Ernährungsplans psychologisch betrachtet kein Hindernis, das Buch zu schreiben. Ich hatte weder Hunger noch Hieper auf Fleisch, nur weil ich darüber schrieb. Ich hatte ja auch weder Nikotin noch Alkohol dort oben, obwohl ich in der Ebene bzw. in den Städten noch nachts um Elf raus wäre, davon zu holen.

Die Hajla, 2400 Meter

Dies lag wohl daran, dass die Wirklichkeit aus Berg, Hütte und Schnee, in der ich mich befand, schlicht zu stark war, zu wirkmächtig. Sie hatte diese Bedürfnisse mangels Möglichkeiten, sie einzulösen, einfach ausgelöscht. Nicht von heute auf morgen, aber im Verlauf der Wochen, die ich dort oben verbracht habe. Daher glaube ich inzwischen, dass wir nur nach Dingen gieren, die in unserer Reichweite sind. Sind sie das nicht, dann stirbt die Gier von alleine. Ob ich nicht lieber auf Mallorca gewesen wäre, während dieser Zeit, hatte mich jemand gefragt. Ich habe gesagt: Bei Gott, nein! Mallorca im Januar, furchtbar. Kalt, feucht, grausam!

Dann lieber richtig Winter im Winter! Und darüber hinaus, wer sagt denn, dass das Schreiben über etwas nicht sogar intensiver wird, wenn man davon ganz und gar abgetrennt ist und sein Sujet wie eine Traumwelt betrachtet. Ich habe ja auch Rezepte geschrieben – habe ich diese halluziniert? Habe ich vom Rezepteschreiben vielleicht sogar ausreichend Energie gezogen, um über mein eigenes, karges Mahl hinwegzusehen?

Mallorca – ein Traum im Wortsinne! Zumindest auf 2000 Metern über Null.

Jedenfalls nahm ich ein komplettes Manuskript mit ins Tal, als ich Mitte Januar schlussendlich doch abgeholt wurde (wie das geschah ist noch so eine Geschichte) und es hinunter ging. Unten angekommen begann ich wieder zu schreiben, in Peja, im Kosovo. Diesmal über die Zeit dort oben, in der weißen Wüste zu Füßen des Bergmassivs der Hajla.

Und so kam es, dass das eine Buch das andere einfach mal überholte: Die Verfluchten Berge sind im September 2021 bei Dumont erschienen, der Speiseführer Mallorca erst im Frühjahr darauf.

 

 

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