Zeit ist Frist (#8)

Die Dinge sind so richtig in Bewegung gekommen, die Saison ist im Gange und ich saß jetzt schon zweimal oben bei Elli und habe den ganzen durchfahrenden Mietautos, Motorrädern und Wohnmobilen beim Durchfahren zugesehen. Das erste Mal, weil ich Internet brauchte und beim zweiten, weil ich Gefallen am Trubel gefunden hatte. War ja lange genug nichts los!

Elli meinte, sie würde von den Touristen kein Englisch lernen, leider, denn das sei alles nur rudimentär. Und so könnte man den Verkehr insgesamt sehen: als Rudiment. Als Wurmfortsatz des globalen Ausflugswesens. Also als etwas, das jenseits der Trasse und des Nadelöhrs der Riviera noch gar nicht so richtig angekommen ist, wirklich nur durchzieht – auf fortgesetzter Suche nach Etwas, nach dem Strand, dem richtigen Leben, der wirklich wunderbaren Taverne.  Eine wilde Schafsjagd, eine Hatz:  Wenn man da sitzt am Straßenrand, denkt man unweigerlich, die hätten alle keine Zeit. Und irgendwie ist das ja auch so, sieben Tage, acht, zehn, zwei Wochen. Zeit ist Frist.

Weiße Mietwägen, Wohnmobile aller Größen, Motorräder: Alle fahren aus Prinzip im Schwarm, genauso wie die Fahrradfahrer, die irgendeine Agentur kurz vor Lukova aussetzt, und die sich dann dort jeden Tag ab zwölf Uhr in voller Sonne vorbeiquälen. Noch nicht einmal die halten an, müssen wohl weiter zur Sammelstelle: Termine, Termine! Hätten die sich auch anders vorgestellt – genauso wie die Wohnmobilisten, die gar nirgendwo Vernünftiges hinkommen, weil viele der Wege zum Meer keine Straßen sind, sondern Pisten. Weil das Meer nur deshalb so groß ist, weil es von ferne zurückstarrt.

Ich muss dazu sagen, dass die Straße durch Lukova die einzige Verbindung entlang der südlichen Küste ist. Die noch dazu meist weit oberhalb des Meeres verläuft. Sprich hier kommt wirklich jeder durch. Ob in Vuno, Piqeras oder Lukova: Es gibt keine Alternative. Lukova ist zugleich isoliert und der Nabel der Welt. Es ist seltsam, dass die allermeisten vorbeifahren – etwa um die Teerstraße zum Shpella-Strand hinunter zu fahren, wo vor Jahresfrist noch ein kleines Paradies aus Tavernen und Gratisstellplätzen zu finden war.

Dies steht jetzt wahrscheinlich in irgendwelchen Online-Foren und deswegen stürzt sich alle halbe Stunde eine Herde weißer Wohnmobile dort hinunter wie zu einem Futterplatz – nur, um alsbald desillusoniert wieder aufzutauchen und die Suche fortzusetzen. In Richtung Saranda und Ksamil und damit in der falschen.

Shpella wurde Anfang des Jahres geräumt. Das heißt, Polizei und Bagger rückten an, um all jene halblegalen Bretterbuden und Verschläge platt zu machen, die dort Betonfundamente in den Sand gegossen hatten, und solche, deren Lizenz nicht verlängert worden war, weil sie der Zukunft im Weg stehen.  Die Zukunft, das ist mehr Beton und mehr Touristen. Eingegriffen wird dann, wenn Tirana Größeres mit dem jeweiligen Strand oder der ganzen Bucht vorhat. Dies scheint in Shpella der Fall zu sein, wohlmöglich wird die ganze Buch zum Resort ausgebaut, genaues weiß hier niemand.

Das Resultat des Eingreifens bleibt wie so vieles in Albanien gerne erstmal liegen und sieht ein bisschen aus, als hätte ein Hurrikan die Küste umgepflügt: Rudimente der ersten Phase des Tourismus, über die die zweite gegenwärtig hinwegfegt. Oder hindurchreist, je nach dem.

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