Granada und die Alhambra
Zugegeben: der Charme einer Stadt wie Granada hätte sich wohl vor vierzig oder fünfzig Jahren schneller erschlossen als dies heute der Fall ist. Heute braucht man ein wenig mehr Geduld und ein bisschen mehr Toleranz. Zwar ist es im März noch relativ ruhig, aber der Minizug verbindet schon Unterstadt mit Alhambra und dem altehrwürdigen Viertel Albaicín, auf dass die Tagestouristen möglichst zügig an die Orte gelangen, auf die es ankommt. In die Alhambra kommt man nur mit Voranmeldung, die kontingentierten Tickets, die man in der Unterstadt erwerben kann, kosten 18 Euro. Der Zeitpunkt, zu dem man sich dann zur Alhambra begeben darf, wird vorbestimmt. Auf dem Weg nach oben durch die schmalen Gassen Albaicíns in Richtung Aussichtspunkt kann es einem anschließend passieren, dass man von einer Truppe Touristen auf Segways überholt wird.
Das älteste Viertel Granadas, das weißgetünchte, enge, steile Barrio Albaicín, das der Alhambra gegenüberliegt, zählt seit 1994 zum Weltkulturerbe, die Alhambra selbst schon zehn Jahre länger. Aber geben wir ferner zu, dass es Stätten offiziellen Weltkulturerbes weit häufiger gibt, als gemeinhin vermutet wird und dass es den zeitgenössischen Europareisenden schon einige Mühe kosten dürfte, eine Route zu planen, die ohne jeglichen Kontakt zu solchen auskäme. 20.000 Touristen sollen es an Sommertagen sein, die nach Granada kommen, nach Albaicín hochklettern oder sich fahren lassen, zwei, drei Fotos machen und dann kehrt.
Und doch, sobald man von den Pfaden der Touristen auch nur um weniges abweicht, ihren Horizont um ein paar Millimeter überschreitet, erscheint die wirkliche Welt wieder – in all ihrer Buntheit, ihrer Unvorhersehbarkeit, in ihrer Feinheit und Grobheit: Wenn man weiter steigt, über die Aussichtsterrassen hinaus, sich jenseits der Gassen auf kleinen Pfaden bergan bewegt, gelangt man in das Territorium von Zigeunern. Hier leben sie in kleinen Felswohnungen, halten den Regen mittels Wellblech und Planen ab und pflanzen in den Vorgärten Gemüse an. Mit dem Gefühl des Eindringlings gehe ich zwischen Kakteen und Algaven am Hang entlang und versuche von dort oben weiterhin Fotos zu machen, als ein Anwohner in Jogginganzug und mit klassisch gegeltem Haar auf mich zukommt. Und gerade als ich denke, jetzt gibt’s Probleme, sagt er zu mir im Vorbeigehen mit Blick auf die Alhambra im Tal:
– Maravilloso, no?