Mali i Gjere: über den Berg

Cajupi Mali i Gjere

Ich sag es gleich: Das war durchaus am persönlichen Limit, wenn nicht sogar ein bisschen drüber. Der letzte Anstieg war richtig kritisch, die Querung zuvor nicht mehr lustig, der gesamte Aufstieg über die Rücken der Bergflanken alles andere als leicht. Das Wetter war wunderbar, ansonsten hätte ich es nicht gewagt: von Delvine über den Mali i Gjere nach Goranxi zu gehen. In der Theorie war alles gut: knapp zwanzig Kilometer, knapp 1300 Höhenmeter bis zum Sattel. Machbar, so schien mir, auch mit Gepäck. Morgens kurz nach acht bin ich losgelaufen, um mit der Dämmerung abends kurz vor acht in Goranxi aus dem Berg zu kommen. Hundertausend Höllenhunde!

Blick auf den Mali i Gjere von Delvine aus

Blick auf den Mali i Gjere von Delvine aus

Immer noch gibt es nur wenige Karten von Albanien, und die, die es gibt, können sogar für Autofahrten unzureichend sein. Wanderkarten gibt es so gut wie gar keine, sieht man von den Anstrengungen um das kleine Gebiet von Teth und Valbona ganz im Norden einmal ab. Aber es gibt GPS. Und die Trails der Vor-Gänger. Ich hätte allerdings stutzig werden müssen, dass die Traillänge mit einer Gesamtzeit von 12 Stunden angegeben war. Ich habe mir das aber durch ausgiebiges Rasten sowie den kilometerlangen Ausflug auf den Gipfel erklärt, den ich nicht unternehmen würde, um stattdessen über den Sattel zu gehen und auf der anderen Seite abzusteigen.

Blick auf den Mali i Gjere von Delvine aus

Blick auf den Mali i Gjere von Delvine aus

Was mir jedoch nicht klar war, dass es keine Wege geben würde, sondern wenn überhaupt, dann vereinzelte Ziegenpfade. Was ich auch nicht wusste, wie steil diese auf den Kämmen nach oben ziehen würden, durch welch üppige Vegetation. Das albanische Bergland steht in voller Blüte, der feuchte Klee schießt fast kniehoch, streckenweise ist es, als würde man durch Neuschnee laufen. Dann wieder sind die Pfade zugewachsen, Ginster und Brombeerranken verdichten sich zu Tunneln, durch die ich bergan durch muss, egal was. Der point of no return ist auf den ersten Alpenwiesen, als es ein wenig flacher hinüber führt zum nächsten Kamm. Delvine liegt bereits fünf Kilometern hinter mir, zum Sattel sind es ebenfalls noch fünf, der Abstieg auf der Nordflanke wird mit noch mal acht Kilometer zu Buche schlagen, die aber durch leichteres Terrain führen.

Delvine_Blumen_amBerg1

Ich stelle fest: Ich mache die gleichen Fehler mehrfach. Tendenziell habe ich zuwenig Wasser mit und zuviel Verpflegung. Mit zuviel meine ich: eine Dose gebackene Bohnen (280gr.), eine Packung Kekse (150gr.) und eine Schokolade (100gr.), die nur dann von Nutzen wären, würde ich am Berg übernachten. Das wäre möglich – das Reitinger-Zelt ist mit dabei (1000gr.), der Schlafsack aus Kerkyra (1000gr.) sowie eine aufblasbare Matte (700gr.) – bleibt aber die Notfalloption, zumal ich mit zwei Litern Wasser mindestens einen zuwenig mithabe, um entspannt auf dem Berg zu bleiben. Ich will es also bis Goranxi schaffen, ich habe nicht wirklich die Wahl.

Delvine_MaliG1
Das Gestrüpp und den dichten Klee habe ich hinter mir, an einem Wasserloch für die Ziegen, die jedoch noch nicht nach oben getrieben wurden, mache ich halt, der Blick fällt auf die See und die Insel Korfu, ab jetzt geht es streng bergan durch weißes, bleiches Steingeröll bis auf 1350 Meter hinauf. Darauf folgt die Querung  zum Sattel, noch ein letzter Aufstieg, und anschließend wieder hinunter. Ich verspreche mir, dass der nächste Abschnitt zwar schwer, der übernächste aber wieder leichter sein wird. Aber auch der übernächste Abschnitt wird schwer, die Querung durch unwegsames Gelände am Hang erfordert volle Konzentration. Vor dem letzten Aufstieg auf den Sattel, vor den letzten 50 Höhenmetern bin ich völlig ausgepumpt und blicke ein wenig fassungslos auf das Gelände, das da noch vor mir liegt, siehe Bild.

Delvine_Sattel1

Um fünf Uhr nehme ich den Abstieg in Angriff. Dieser verläuft verhältnismäßig einfach, wenngleich er erneut durch offenes Terrain und über satte Wiesen führt. Dafür ist er weit weniger steil, lässt sich schneller laufen und teilweise in einem ausgetrockneten Bachbett hinabsteigen. Großes Glück ist es, auf halber Höhe dann eine Zisterne mit Trinkwasser zu finden: Ende der Rationierung, Wasser satt, auftanken. Nichts kann mehr schiefgehen.

Goranxi_kuh1

 

 

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