In Gjirokastra: Auf den Zahn gefühlt

Cajupi

Meine Bezugsgruppe hat sich leicht verändert und ich glaube, ich weiß warum. In Saranda trinke ich Raki mit Thoma, in Delvine mit Kristaq, in Gjirokastra ziehe ich mit Kujtim um die Häuser. Allesamt Herren über sechzig. Nicht, dass ich mich mit den Jüngeren nicht unterhalten würde, natürlich mache ich das. Aber mit den Alten verstehe ich mich besser. Wie schlecht es um Albanien stünde und welch gutes Land doch Deutschland sei, das ist zu oft das Leitmotiv der Gespräche mit den Jüngeren und diese Gespräche sind anstrengend, weil ich häufig widersprechen aber am Ende immer nachgeben muss.

Burg Gjirokastra Gjirokaster

Ich erfahre, dass ein ausgebildeter Fliesenleger umgerechnet 17 Euro am Tag verdient. Also an den Tagen, an denen er arbeitet. Arbeit gibt es, gebaut wird in Albanien weiterhin wie blöd, nur reicht das Geld nicht für Wünsche und Sehnsüchte. Heiraten zum Beispiel, wie soll das gehen? Ohne Haus, ohne Auto? Seine Eltern seien Bauern, die hätten auch kaum Geld. Deutschland sei reich, Deutschland sei gut. Wir unterhalten uns auf Spanisch, weil der junge Mann durch irgendwelche Telenovelas Spanisch gelernt hat. Ich verweise auf die Gräben, die der Neoliberalismus quer durch Europa gerissen hat, auf die Berliner Krise der 2000er Jahre, die unbezahlten Praktika, den Mangel an festen Jobs. Auch ich hätte kein Auto, nie eines besessen.
– Aber eine Krankenversicherung, die hätte ich doch?
Ja, hab ich, kostet aber dreihundert im Monat und wird nicht günstiger.
Wenn ich Zahnschmerzen bekäme, was ich dann machen würde?
– Zum Zahnarzt gehen.
– Und was macht der?
– Der bohrt und füllt.
– In Albanien zieht er, wenn du nicht zahlst.

Bazar Gjirokastra Gjirokaster

Es sind jedoch nicht allein materielle Wünsche, denen diese Unzufriedenheit entspringt, es geht auch um Abhängigkeiten. Anderes Gespräch, ähnlicher Verlauf, diesmal auf Englisch mit britischem Einschlag: Arber arbeitet seit elf Jahren als Mathematik- und Physiklehrer an einer weiterführenden Schule, dafür erhält er monatlich 300 Euro. Ein Drittel nimmt ihm der Staat sofort wieder weg, offiziell für die Krankenversicherung. Diese gibt es aber nur auf Papier und vielleicht in Tirana, die Wirklichkeit sieht in Gjirokastra anders aus. Die Ärzte sind ähnlich schlecht bezahlt wie die Lehrer, Medizin und Material sind knapp, wer behandelt werden will muss zahlen. Ob das in Deutschland auch der Fall sei. Rhetorische Frage, kein Fragezeichen.
– Nein, in Deutschland müsse man die Ärzte nicht schmieren.
– Siehst du, sagt er, ein gutes Land, Deutschland.
Kurzer Exkurs meinerseits über überholte Industrien und hohe Steuerlasten, wegbrechenden Mittelstand, Relativität von Armut, Möglichkeiten und Perspektiven in Albanien.
– Ob er nicht zusätzlich Stunden geben könnte, als privater Tutor?
– Nein, das wäre nicht gern gesehen, dann könne er von heute auf morgen entlassen werden.
– Ob er keinen Vertrag hätte?
Nein hat er nicht, er arbeitet seit elf Jahren als Lehrer, hat nie eine Unterschrift unter irgendwas gesetzt, von den 300 Euro Lohn gehen 100 weg für etwas weg, das es de facto nicht gibt, Nebenverdienst ist ihm nicht möglich, dem Schuldirektor muss er gewogen bleiben, weil er ansonsten auf der Straße landen könnte.
Arber träumt von einem Auto, von Bildung sowie einer funktionierenden Krankenversicherung für seine 7jährige Tochter. Arber träumt vom Ausland, denn von Albanien erhofft er sich das alles nicht.

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