Palma de Mallorca: auch ich in Arkadien?

Mallorca stand nun wirklich nicht auf meiner Liste. Weil mir Ryanair aber einen Flug unvermittelt wieder wegnahm – angesichts des äußerst geringen, vor Monaten bereits investierten Betrages, den man mir nun zurücküberweisen will, muss ich mit fränkischer Kinderzunge sagen: „Erst schenken und dann wiederholen ist gestohlen!“ – und es gar nicht so leicht ist, das verregnete Barcelona von heute auf morgen günstig zu verlassen, entschied ich mich für einen Flug nach Palma. Ich will wandern, im Norden der Insel. Und bin ansonsten natürlich reichlich voreingenommen und zum allerersten Mal dort.

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Die erste Überraschung bereitet mir Palma de Mallorca. Mit einer so schönen, so eleganten Altstadt hätte ich nicht gerechnet, die hatte ich nicht auf dem Schirm und war auf einmal sehr froh, die Nacht in der Stadt zu verbringen. Die interessante Frage ist, wie ich dazu kam, von vornherein zu denken, dass Palma keinen Aufenthalt wert wäre und sofort weiter wollte, was mir aber schließlich nicht gelang. Hatte ich keine Bilder von den Altstadtgassen im Kopf, wusste ich nicht um die spektakuläre Lage der sandfarbene Kathedrale, um die zahlreichen Mühlen, die sich entlang der Küstenlinie auch innerhalb der Stadt finden lassen? Wie komme ich darauf, dass El Arenal, Magaluf und Palma ein- und derselbe Ort sind, ein- und dieselbe Geschichte erzählen?

Single stories seien das Problem, nicht unbedingt das Vorurteil selbst, sagt die nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Adichie und erklärt: Vorurteile wären unter Umständen im Kern wahr, deswegen ließen sie sich auch so leicht bestätigen, sobald man sie aufsuchen würde. Das Problem sei vielmehr, dass man andernorts gar nicht mehr hinsieht, gar nicht mehr sucht. Dass bestimmte, einzelne und eindimensionale Geschichten immer wieder erzählt werden, so dass sie sich einschleifen, Einseitigkeit erzeugen, Festlegungen schaffen und so zu Voreingenommenheit führen. Wodurch letztlich das reichhaltige Gesamtbild auf ein Weniges, Grobverpixeltes reduziert wird und nichts anders mehr erkannt werden kann, außer die bereits bekannten Vorurteile.

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Ich verstehe schnell, dass es allen Grund gibt, auf Mallorca zu sein. Die Farben, die Luft, die Blumen, das Meer, die Gerüche, das Glück. Schon im April sind die Cafés in Strandnähe voll, Schwärme von Rennradfahrern sind unterwegs, bestens ausgestattete Tagesausflügler wälzen sich gruppenweise über unschuldige Hügel. Wie es im August sein muss, das möchte ich mir gar nicht vorstellen. Die Welt ist nicht schlecht, sondern voll, hat Brecht einmal notiert.

Das Problem aber ist nicht allein ein quantitatives, sondern auch ein qualitatives. Mallorca bekommt nicht unbedingt die kultiviertesten, nicht die verständigsten, nicht die anpassungsfähigsten Besucher ab. Und ich meine noch nicht einmal das Partyvolk an den Stränden, ich rede von eifrig abgezähltem, genau passendem Kleingeld, von den grellbunten, synthetischen Oberteilen, von Funktionsjacken und dem vielköpfigen Grund für das Überangebot an Kaffee mit Schlagsahne, an Pizzen und Pastagerichten. Die Insel ist übererschlossen, schnell und günstig zu erreichen, und auch mit den unschöneren unter den deutschen Dialekten kommt man gut durch. Überhaupt stellt Sprache keinerlei Barriere dar: Mir scheinen insbesondere die katalanischsprachigen Landesteile Spaniens von einer selbstverständlichen Toleranz und Offenheit, die ihren Ursprung möglicherweise in der eigenen Mehrsprachigkeit hat. Unvergessen ist mir, wie ich mich vor Jahren in einer Bäckerei in Gràcia meines mangelnden Castellanos wegen entschuldigen wollte
– Disculpe, no hablo espagnol!
Und zur Antwort bekam
– Pero estas hablando!
Seitdem nehme ich in Spanien kein Blatt mehr vor den Mund und stolpere mich von Satz zu Satz, von Wort zu Wort. Und jedesmal hört man mir wohlwollend zu, errät oder erschließt mein Anliegen, verzeiht noch jeden Fehler und antwortet geduldig und langsam, so dass ich verstehe. Auf diese Art und Weise lernt man. Nichts anderes machen Kinder.

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Rund drei Millionen Deutsche kommen vor allem während der Sommermonate Jahr für Jahr nach Mallorca: Früher war es Italien, heutzutage liegt Arkadien für die Deutschen auf Mallorca.  …und jetzt ist also noch ein Deutscher mehr auf Mallorca, denke ich, als ich mich zu meinen Landsleuten in den Bus setze, den frühmorgentlichen Bus von Palma nach Port d´Andratx, dem Ausgangspunkt einiger Tagestouren und der Tramuntana, der mehrtägigen Route durch die Berge und entlang der Küsten Nordmallorcas.

 

 

Link zu Chimamanda Adichie: The danger of a single story

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