Peshkopi: Pilav, Ramadan und die Diktatorensuite
Also mit dem Ramadan ist es in Peshkopi nicht so weit her. Die Lautsprecher der Moschee wurden zwar von einem Tag auf den anderen heimlich etwas hochgedreht, aber man sieht nur vereinzelt junge Männer in den Cafés, die nichts vor sich haben, keinen Kaffee und kein Wasser, allerhöchstens Zigaretten rauchen und ganz offensichtlich nach den Regeln leben. Ansonsten aber herrscht business as usual, der Boulevard bleibt belebt, die Cafés voll, die Restaurants offen und gut besucht, außerdem gewinnt die Grundschule ohne größere Mühe den Wettbewerb um Aufmerksamkeit: Es ist Zeugnisvergabe und das wird lautstark gefeiert, von morgens um zehn bis in den Nachmittag hinein. Dann ist für ein paar Stunden Pause, am frühen Abend aber geht es wieder los.
Die Geräusche der Stadt dringen zu mir herauf, der Balkon der Villa sowie die Terasse blicken über Peshkopi hinweg, auf die Moschee und in die Berge, auf denen ganz hoch oben noch ein paar Flecken alter Schnee zu sehen sind. Ich bewohne die Diktatorensuite, jedenfalls bilde ich mir das ein, und der gesamte Ostflügel der Villa ist mein. Die Villa, shpia pritjes, wurde in den Zwanzigern von italienischen Architekten in ebenso exponierter wie exquisiter Lage über Peshkopi hingesetzt, diente im Kommunismus als Präsidentenvilla, und es ist nicht unwahrscheinlich, das auch Ministerpräsident Enver Hoxha ein paar mal hier vorbei geschaut haben dürfte und ebenfalls den Ostflügel bewohnte. Lange stand das Gebäude leer, es ist ein wenig mitgenommen, die marmorierten Böden und die schweren, glatten Holztüren aber kennen kein Alter, nur das Fischgrätparkett ist ein bisschen pflegebedürftig. Vor einigen Jahren war es gelungen, die Eigentumsverhältnisse zu klären, die Villa anzukaufen, ein paar alte Möbel zu besorgen und neue Stockbetten in die ehemaligen Gästezimmer zu stellen, fertig ist das Peshkopi Backpackers. Dass es ein solches überhaupt gibt, ist schon ein kleines Wunder.
Solltet ihr nach Peshkopi kommen, verlasst den Boulevard, geht eine Straße tiefer, dort wo dicht an dicht Bäume stehen, kleine Geschäfte sind, eine Schneiderei, ein Fleischer und fragt nach Linda. Lindas Restaurant ist leicht zu übersehen, es stehen nur acht quadratische Tische drinnen und draußen ist kein Schild. Ein Restaurant in diesem Teil der Welt ist nichts, wohin man ausgehen würde – man geht nicht essen, man geht stattdessen in die Bars am Boulevard und zählt heimlich sein Geld, wenn die Begleitung statt des Kaffees auf einmal einen Cocktail mit Redbull-Anteil bestellt; man geht Pizza essen, wenn der Cousin aus Tirana vorbeischaut, aber nicht zu Linda – das Restaurant ist vielmehr eine Verpflegungsstation, eine Mensa, eine Volksküche und Kantine in einem. Um halb acht bin ich zur Stelle, denn Linda öffnet früh morgens, früh genug für die Schüler und Arbeiter, für die Bauern aus den Bergen, die schon um fünf das Maultier gesattelt haben, um hinunter in die Stadt zu ziehen. Es gibt weiterhin genügend Leute, die zu Fuß oder auf Maultieren und Eseln unterwegs sind, denn wer kaum Geld hat, für den ist fast jeder Preis zu hoch und der Furgon ein vermeidbarer Luxus. Das Pilav zum Frühstück aber, gedämpfter Reis mit Brühe und Zwiebeln für 50 Lek, das bleibt erschwinglich. Linda schließt schon um 17 Uhr zu, denn dann ist keiner mehr in der Stadt, nur noch die Städter und die essen zuhause, en famille. Morgens kocht sie vor, bereitet das Fleisch zu, die Bohnen und die säuerlich eingelegten, kalten Kartoffeln, die Paprika, Peperoni und Auberginen. Serviert wird binnen Minuten nach Bestellung, ein Getränk zum Essen ist nicht unbedingt üblich – für Getränke, Kaffee und Bier, sind die Bars zuständig, und Linda führt ein Restaurant.
Pilav oder auch Palau bzw. Polow kommt übrigens aus dem persischen Raum, der Name wiederum wurde vermutlich aus einem pakistanisch-indischen Dialekt übernommen, Verbreitung auf dem Balkan fand das Gericht (ebenso wie Byrek/Börek oder Quofte/Köfte) durch die jahrhundertlange Herrschaft der Ottomanen. Auch Rezepte haben “Migrationshintergrund”, sind das Resultat von Wanderschaft, Kommunikation und Teilhabe.