Prizren: Fußball, Frieden und KFOR
Das Spiel Albanien gegen die Schweiz schaue ich zusammen mit zwei Schweizern, Claudio und Christian. In Prizren, im Kosovo. Das wäre nicht weiter ungewöhnlich, wären die beiden nicht uniformiert und in der KFOR-Truppe. Erst dachte ich, die haben grad frei und wollen halt das Spiel schauen, frage, ob ich ein Foto machen darf und na klar, gerne. Die beiden setzen sich wenig später zu mir an den Tisch, aufgrund der besseren Sicht auf den Monitor, und ich erfahre so Einiges.
Zum Beispiel, dass sie sehr wohl bewaffnet seien, nur die Waffen nicht sichtbar tragen würden. Die KFOR sei eine Armee und als solche nun einmal unter Waffen bzw. einsatzbereit, obschon relativ klar wäre, dass es dafür schon seit Jahren keine Notwendigkeit mehr gäbe. Sie sind nicht zum Spaß beim Fussballschauen, sondern in der Tat im Job, und trinken auch nur Wasser. Nachdem 2004 in Prizren die Gewalt gegen die verbliebenen serbischen Familien pogromartig eruptiert ist und ein ganzes Viertel niedergebrannt wurde, ohne dass die KFOR im Vorfeld davon Wind bekommen hätte, geschweige denn rechtzeitig eingeschritten wäre, hat man wohl gemerkt, das die Kasernierung von Soldaten und das Präsenzzeigen in Form von Patrouillengängen, Spazierfahrten mit mittelschwerem Gerät sowie der Besetzung von Beobachtungsposten, nicht ausreicht, um mit der Bevölkerung in unmittelbarem Kontakt zu stehen. Deshalb gibt es inzwischen vier sogenannte Liaison and Monitoring Teams (LMT), allesamt von der Schweizer Armee gestellt, die rausgehen, mit den Leuten reden, Kaffeetrinken, das internationale Essen im Fellows schätzen, dort Fussball schauen und ihrerseits sehr geschätzt werden. Obwohl die Schweiz ein wenig unverdient mit 1:0 gewinnt.
Prizren ist eine äußerst lebendige Stadt, am Samstagabend nach dem Fastenbrechen ist die kleine Altstadt bis nach Mitternacht zu meinem Erstaunen proppenvoll. Ich sitze müde am Rande des Geschehens, rudere von teilnehmender Beobachtung zu reiner Beobachtung zurück, trinke in Ruhe ein Bier und will schnell ins Bett – die lange Fahrt durch das albanische Bergland bis nach Kukes, die anschließende Autobahnfahrt über die Grenze, hinein in ein erstaunlich aufgeräumtes, in kurzer Zeit sichtbar modernisiertes Land, steckt mir noch in den Knochen.
Heute auf den Tag genau vor siebzehn Jahren, im Anschluss an vier-monatigen Beschuss der serbischen Stellungen, rückte die KFOR in Prizren ein, es kam zu blutigen Zwischenfällen, unter anderem wurden zwei serbische Freischärler in einem Lada mit über 200 Schuss von der nervösen Truppe, man muss es so sagen: zur Strecke gebracht. Ein Radpanzer der deutschen Bundeswehr bezog Stellung auf der Betonbrücke zur Altstadt und blieb dort für Monate stehen. Heute noch heißt diese KFOR-Brücke oder wird nach dem Panzertyp genannt und Fuchsbrücke gerufen.
Die sichtbare Präsenz verschiedenster Truppenteile hat fast etwas rührend Internationales. Fast, sage ich, denn sie tragen oder fahren Waffensysteme. In kürzester Zeit begegne ich einer Patrouille, fahren mehrere deutsche Militärfahrzeuge, darunter ein seltsam altmodisches, kleines Kettenfahrzeug mit gepanzertem Anhänger, an mir vor bei, stoße ich auf ca. 20 uniformierte Sportsfreunde, deren ungarisches Wappen ich zunächst für das italienische halte, aber die sind ja nur mit Carabinieris im Kosovo an den Kreuzungen unterwegs. Außer mit Handfeuerwaffen sind die Ungarn mit Fotoapparaten und teilweise mit Sportrucksäcken ausgerüstet und ganz offensichtlich auf einer Art Hiking- oder Sightseeingtour unterwegs. Von all dem bleibt das zivile Geschehen in Prizren völlig unbeeindruckt, die orthodoxe Kirche wird auch nicht mehr von Militär bewacht, sondern ein einsamer Polizist der neuaufgebauten einheimischen KSF darf dort sitzen und den ganzen langen Tag Kaffee trinken. Es herrscht Frieden, von Waffen geschützt: „Zeigen dass man kämpfen kann, damit man nicht kämpfen muss“, das war lange das Motto der militärischen Präsenz, und gewiss lange zu Recht. Von Claudio erfahre ich, dass sich so manch ein Soldat der ehemaligen Kontingente in Land und Leute verliebt hat, jetzt vor Ort ein Häusschen besitzt oder sogar ein Unternehmen gegründet hat. Auch Claudio hat verlängert und bleibt noch einmal sechs Monate, sechs Monate länger als er müsste.
Es gibt heute in Prizren nur noch eine Handvoll Serben, aus 10% der Gesamtbevölkerung sind 0,1% geworden, das ist die eigentliche Tragödie, denn stattdessen existiert eine ethnische Grenze, welche unter anderem quer durch die Kleinstadt Mitrovica verläuft: Die Stadt ist zweigeteilt, in sprachlicher, admistrativer und ethnischer Hinsicht. Nördlich des Flusses Ibar gilt die KFOR als Besatzungsarmee, südlich davon als Befreier. Man muss kein Scholl-Latour sein, um vorauszusehen, dass das letzte Kapitel dieses Dramas noch nicht geschrieben ist, jetzt, wo kaum noch Hoffnung bleibt, dass es der Europäischen Union gelingt, solcherlei lokale Unterschiede auf einer anderen Ebene aufzuheben …jedenfalls solange sich diese als eine Union von Nationen versteht, anstatt die historisch, sprachlich und geographisch ungemein vielfältig verwobene Differenziertheit ihrer Regionen als das eigentlich Europäische zu begreifen.