Die Kashba von Tizourgane
Die Kashba von Tizourgane ist zugleich eine Speicherburg, also eine Festung, die vornehmlich der Aufnahme von Vorräten, Vieh und Material diente und erst in zweiter Linie der Zuflucht von Menschen. Solcherlei Speicherburgen nennt man Agadire.
Die Agadire des nördlichen und nordöstlichen Anti-Atlas waren vor allem für die Vorratshaltung von Gerste gedacht – ein Faktum, das ich angesichts des ausgedörrten Tales kaum glauben mag, wären nicht überall kreisrunde Dreschplätze zu sehen. Gerade die erheblich schwankenden Niederschlagsmengen machten eine mehrjährige Vorratswirtschaft überlebenswichtig.
Die Täler nördlich von Tafraoute waren zudem Durchzugsgebiete und wurden erst jahrhundertelang von räuberischen Stämmen, dann von den Franzosen bedroht, so dass die Anlage eines Agadirs zu Zufluchts-, Bevorratungs- und Verteidigungszwecken die Regel war.
Gebaut und unterhalten wurden die Agadire von den Bauern, von den Familien des Tals und der näheren Umgebung, waren also im Besitz von Dorfgemeinschaften, wobei jeder Familie eigene Lagerräume zustanden. Daher sind die Agadire angelegt wie kleine, kompakte, egalitäre Städte: kollektiv errichtet, gemeinschaftlich bewirtschaftet, individuell befüllt. Es gibt einen Vorsteher, den Amin, der den Schlüssel zum Agadir verwaltet. Rechte, Pflichten und sogar Sanktionsmöglichkeiten sind im sogenannten Llouh schriftlich fixiert und werden vom jeweiligen Dorfrat überprüft.
Seit zwanzig Jahren ist Jamal dabei, den Agadir von Tizourgane instand zu setzen und instand zu halten. Zuwendungen vom Staat bekommt er dafür nicht, die Einnahmen durch die Touristen müssen ausreichen. Einen Teil des Agadirs hat er in eine komfortable Herberge verwandelt, die jeden Vergleich mit vernünftigen Hotels Stand hält.
Jamal verwendet nur traditionelle Techniken und Materialien, das kostet Zeit. Aber an Arbeitskräften fehlt es ihm nicht. Wenn auf die Schnelle Wetterschäden zu beseitigen sind, dann zieht wie in früheren Zeiten das ganze Tal zur Burg und schafft mit.
Sie sei sich sicher, sagt Malika, Jamals Frau, dass auch die kommenden Generationen hier noch genug zu tun hätten. Man müsse stets wieder von vorne anfangen, vor zwei Jahren wäre aufgrund der starken Regenfälle der halbe Parkplatz weggebrochen.
So wäre das mit dem Wasser, entweder es reiche hinten und vorne nicht oder es käme viel zuviel davon auf einmal. Vorletztes Jahr wäre es die Springflut gewesen, die Schäden an der Straße nach Ait Baha seien noch immer nicht behoben, und dieses Jahr wäre es die Dürre.
Der Frühling wäre gekommen wie ein Sommer und geregnet hätte es zuletzt im November, an genau einem Tag. Das reiche nun einmal nicht. Nicht für Gerste, nicht für das Gras, nicht für die Mandelbäume und nicht einmal für die Kakteen. Einige Leute hätten bereits ihr Vieh nehmen und fortgehen müssen.
Grundwasserbrunnen sind im Anti-Atlas nicht möglich, das Gestein ist zu hart und das Grundwasser sitzt zu tief oder ist gar nicht erst vorhanden. Die einzige Möglichkeit Wasser zu speichern ist es, den Regen in ausgeklügelten Zisternensystemen aufzufangen. Aufwändig terrasierte Hügel und Hänge erlauben es, dass der Regen nicht einfach abfließt, sondern in der dünnen Erdschicht versickert kann und so den Kulturpflanzen eine gewisse Zeit lang erhalten bleibt.