Tramuntana: Aller Anfang ist ein Anfang
Mangelnde Erfahrung ist ein Garant für vielfältige neue Eindrücke. Es war durchaus logisch gewesen, sich in Palma bei einem bekannten Filialisten mit dem Nötigsten für eine Etappentour durch das mallorquinische Bergland einzudecken: zwei erschreckend günstige Trekkingstöcke, die ich unterwegs schrotten könnte oder anschließend verschenken, einen Hammock, den ich definitiv auf der ersten Etappe brauchen würde, denn dort würde es keinerlei Übernachtungsmöglichkeit geben, sowie eine schlafsackähnliche, gesteppte Decke mit Reißverschluss. Die Gesamtinvestition lag etwas über dreißig Euro und das würde ich zu schnell spüren bekommen.
Weniger logisch war es, nach Erreichen des ersten Etappenziels, das Biwak vorne auf der Plattform aufzuschlagen. La Trapa ist ein ehemaliges Kloster, dass von Sant Elm in knapp zwei Stunden auf teils sehr steiler Strecke erreicht werden kann, die Gebäude werden derzeit renoviert, sind aber nicht zugänglich. Seit Jahren gibt es Gerüchte, dass dort ein refugio eröffnen würde. Davon aber ist bisher nichts zu ahnen und auch für die Zukunft wenig zu hoffen. Obwohl der Ort genial wäre, obwohl es genau dort ein refugio bräuchte. Eine runde Plattform ist La Trapa vorgelagert mit großartigem Blick auf das Meer sowie die Insel sa Dragonera, die Drachenförmige. Gewiss, der Platz und der Blick sind einmalig, doch hätte mir der auffrischende Wind Warnung genug sein sollen, hätte mir mitteilen können, dass es sinnvoller wäre, Schutz zu suchen anstatt ein romantisches Lager mit Aussicht. Es gibt einen Punkt, an dem die Konsequenzen falscher Entscheidungen getragen werden müssen und nicht mehr rückgängig gemacht werden können, den berühmten point of no return.
Dieser Punkt war etwa gegen zehn Uhr abends erreicht: es gab kein Licht, der Wind war zu stürmischen Böen angewachsen, die Pinien schwankten, ich hatte nach und nach alle Kleidungsschichten angezogen, die ich besaß, meine Sachen mit Steinen befestigt und mich in den Billigschlafsack gezwungen, der nicht wirkte. Die Nacht war stockdunkel, der junge Mond würde erst gegen vier Uhr aufgehen. Der Wind drang durch sämtliche Schichten, zerrte an den Planen des Hammock und ließ ihn hin- und her schaukeln. Abwechselnd befürchtete ich, dass es meine Sachen fortwehen würden, dass Äste der Pinien abbrechen könnten, oder die Seile des Hammock reißen. An Schlaf war nicht zu denken, ein Standortwechsel aber kam nicht mehr in Frage, das würde die Lage im Zweifel nur verschlimmern.
Um sechs Uhr früh – in der allerersten Ahnung von Tageslicht – begann ich zu packen, um halb sieben war ich unterwegs und stieg hinter La Trapa bergan. Die erste halbe Stunde des Gehens mit Gepäck ist undankbar, wahrscheinlich weil der Körper nicht daran gewöhnt ist, der Geist mäkelt, und man allgemein noch nicht recht auf Betriebstemperatur ist. Schnell, erstaunlich schnell aber stellt sich eine sonderbar zielgerichtete, streng fokussierte Klarheit des Vorwärtskommens ein. Ich bin immer noch überrascht, wie gut das geht, nach einer Nacht mit kaum Schlaf, im Wind. Wie der Körper das macht: Wenn er darf, wenn er muss, wenn er kann. Schnell, erstaunlich schnell aber, waren wir über den Berg, gingen um die Ecke und das Land, das Meer, der Blick taten sich auf, und alles öffnete sich dem, was da Großartiges vor einem lag.