Apuseni: Dichtertreffen bei einsetzendem Regen
Ovidio würde sich nicht ans Programm halten: Der Bilderbuchrumäne (mit Hut und im Jogginganzug), der mir das sagt, sagt es auf Rumänisch. Zuvor hatte er mich von der Straße aus durch den Hof eines Gehöfts gelotst, in dem ich etwas verloren stand und nicht wusste, ob ich da jetzt einfach durch kann oder nicht – Stichwort Hunde. Ich war einmal um das Dorf gelaufen, nachdem nachmittags der Regen wieder nachgelassen hatte, und war unterwegs zum Magazin Mixt, dem inoffiziellen Zentrum eines jeden Dorfes in den Apuseni-Bergen. Tags zuvor hatte ich mich dort schon verpflegt, den Betreiber kennengelernt, der sich als Ovidio vorgestellt und als gemeinsame Sprache das Italienische vorgeschlagen hatte. Aber Ovidio hält sich nicht ans Programm und ist außer Haus, obwohl die Öffnungzeiten (Rumänisch “Program”) den Sonntag als durchgängig geöffnet ausloben.
Tags zuvor war noch alles nach Programm gelaufen. Die Gewitter hatten im Gegensatz zu mir keine Anstalten gemacht, zu wandern, und hatten sich südlich meiner Strecke gehalten – und ich konnte trockenen Fußes von Turda bis zur Thorenburger Klamm (Cheile Turzii) gehen und die Schlucht durchqueren. Die enge Kalksteinklamm wäre im Regen nicht wirklich passierbar gewesen und ich hätte zu den Füßen des ersten Höhenzuges des Apuseni-Gebirges Quartier suchen oder campieren müssen. Aber vorerst lief alles nach Plan und ich die 12 Kilometer nach Petresti.
Die Klamm selbst ist ein beliebtes Ausflugsziel und war entsprechend belebt: Familienausflüge, Picknick, Spaziergänge, Grillstation. Dahinter aber, dahinter war die Welt unvermittelt zu Ende, die Straße durch das Dorf Petresti de Jos (also das untere der drei Petrestis, die beiden anderen heißen Miljoc und Sus mit Nachnamen) schien endlos. Die schmalen Gehöfte standen an der Straße wie Milchkühe zu beiden Seiten der Tränke, die Kirche war ein Angeber und markierte keineswegs ein Zentrum. Das Zentrum, das stellte sich als das Magazin Mixt heraus und lag weiter die Straße hinunter …also weiter entlang an den Alten, die alle Naselang auf Holzbänken an der Straße sitzen, ganz so, als gäbe es dort außer den vorbeirauschenden Autos etwas zu sehen. Das rumänische “Buna Ziua” klingt verblüffend nach “Bonjour” – zum Glück laufe ich zeitig genug in Petretsi ein, denn was “Guten Abend” auf Rumänisch heißt, das weiß ich gar nicht. Aber ich vermute, mit “Bona sera” würde ich sehr weit kommen.
Ovidio heißt wirklich so, fand es aber nicht lustig, als ich mich als “Vergili” vorstellte und ihn fragte, ob er nach Petresti de Jos verbannt worden wäre – und abends vielleicht heimlich Gedichte schriebe: Metamorphosen vielleicht, so etwas in der Richtung, oder Klagelieder? Dennoch lud er mich auf den nächsten Tag ins Magazin Mixt ein, falls der Regen stärker werden würde und ich zum Schreiben WiFi bräuchte. Die “Parole” dafür würde er mir bieten. Der Regen wurde stärker, ich blieb im Dorf, dem unteren der Petrestis hängen, aber Ovid, der große Ovid, der hielt nicht sein eigenes Wort und sich nicht an das Programm.