Belgrad: der Sommer, die Stadt und das Militär
Schon morgens springt das Thermometer über 30 Grad und schraubt sich stündlich weiter hoch, die Luft ist feucht, das Klima tropisch, die Kleidung klebt am Körper. Wer Beine hat oder ein Auto, der begibt sich in Nähe des Wassers, fährt zum Savsko Jezero an der Sava, ist auf der Promenade von Novi Beograd unterwegs oder geht zum Schwimmen hinüber auf die Insel Ratno Ostrvo, welche in der Donau liegt.
Vor zwei Wochen erst hat das Militär die Pontonbrücke aufgebaut, um die Insel Ratno Ostrva mit der Promenade von Novi Beograd zu verbinden. Jedes Jahr machen sie das und jedes Jahr ist dies der Startschuss für den Sommer. An der Westspitze der Insel liegen Wiesen und ein kleiner Strand sowie zwei, drei improvisierte Buden mit Getränken. Zwar ist Ratno Ostrva ein Naturschutzgebiet und Vogelreservat, aber das nimmt man jetzt nicht sooo ernst und gibt die Insel während des Sommers mit militärischer Hilfe für Besucher frei. Es herrscht eine Atmosphäre wie im Freibad, doch weit hinaus in die Donauwasser wagt sich niemand, die Strömung ist viel zu mächtig. Es ist eine Erfahrung, unterzutauchen im Strom und diese Kraft zu spüren, dieses langsame, unwiderstehliche, machtvolle Vorwärtsdrängen von Millionen Kubikmetern an Wasser – hinweggezogen von einem minimalen Gefälle, angeschoben von den nachdrängenden Wassermassen.
Moskitoschwärme steigen mit der Dämmerung über der Donau auf, ich muss an Angelo denken, den Berliner Kaffeeröster, und dessen Erzählung von der langsamsten Bar der Welt, am Amazonas, gegenüber der grünen Wand. Genau dort halte ich mich gerade auf, am europäischen Amazonas, im langsamsten Hostel der Welt, gegenüber der grünen Wand. Sanft bewegt sich der Boden, schwanken die Planken, denn das Arka Barka ist ein schwimmendes Haus und liegt gut vertäut in einem Seitenarm der Donau. Treibgut zieht langsam vorüber, manchmal sind es ein paar Äste, manchmal ein ganzer Baum. Ein paar Reiher schwingen sich in den Abendhimmel auf, Enten lassen sich vorüber treiben und hundert Frösche machen Party.
Abends lärmen die Partyschiffe auf der Sava, sie liegen gegenüber der niegelnagelneuen Promenade und des Großprojektes „Belgrade Waterfront“, in dessen Rahmen arabische Investoren auf alten Brach- und Industrieflächen ein ganzes Luxusviertel hochziehen. In den Straßencafes oben in der Altstadt wird eiskaltes Wasser diffundiert, zwei Mädchen machen Promotion für ein Cidre-Getränk, drücken jedem Willigen gleich mehrere Dosen in die Hand, eine Brassband spielt im Hinterhof, ein kleines Cafe gibt einen Jazzabend. Unten am Fluss haben sich die Fischer in einer Reihe aufgestellt, promenieren die älteren Männer sämtlich mit nacktem Oberkörper, das T-Shirt in die Hose gesteckt, so als hätten sie sich dazu verabredet.
Noch nach Mitternacht bleibt die Stadt belebt, kühler wird es kaum, nur der leichte Wind und das kalte Bier bringen Erfrischung. Klimaanlagen sind keine Lösung, sondern ein Schock. Besser als sich in grausam kalter, künstlicher Luft frisch zu halten ist es, langsam mürbe zu werden, langsam zu zerfließen, eins zu werden, mit dem Sommer, mit der Stadt.