Bucht Nr. 263

Der guía mas completa der Strände und Buchten Mallorcas zählt 262 Buchten, Strände und Bademöglichkeiten auf der gesamten Insel, darunter einige, die nur vom Meer aus zugänglich sind. Ich habe in der unmittelbaren Umgebung von Santanyí zahlreiche zauberhafte Buchten gesehen, allesamt von felsiger Einfassung, von teils feinkörnigem, fast weißen Sand, der das Meer über große Strecken türkis leuchten lässt. Dazu kommen die Pinien, der Himmel, der Wind, die Düfte. Jede Bucht, jeder neue Blick auf das Meer, ist eine kleine Offenbarung. Ich mache hier das, was vermutlich alle Deutschen machen oder zumindest vorhaben, ich lebe auf: Wasser, Farben, Licht und Luft haben ganz unmittelbare Wirkungen auf mein Gemüt. Wer einen Beweis braucht, dass sich Schönheit einatmen lässt, Mallorca liefert ihn großzügig und bereitwillig, vielleicht sogar allzu bereitwillig.

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Mag sein, dass hier der Schlüssel zu Mallorcas Anziehungskraft liegt: mediterrane Milde gepaart mit bequemer Zugänglichkeit multipliziert mit Inbesitznahme. Die Landnahme selbst ist dabei nur die eine Sache: Im Gefolge der Engländer wurde vor zwanzig, dreißig Jahren damit begonnen, Grund und Boden der mallorquinischen Bauern günstig zu erwerben und aufwändig zu bebauen. Die andere Sache ist die unmittelbar darauf folgende Aneignung durch Geschäftstüchtigkeit: Neben vielen Boutiquen, neben einem Großteil der Gastronomie sind in Santanyí auch die Immobilienhändler deutscher Herkunft, ebenso eine Handvoll Architekten, ein Massagestudio, welches auch Kartenlegen anbietet, Versicherungsniederlassungen, Bootsservices, Einrichtungshäuser, mehrere Galerien und Ärzte, Handwerker und Poolbauer. Ja, es gibt sogar eine deutsche Zahnarztpraxis, welche explizit mit diesem Attribut wirbt: Zahnpflege auf Mallorca ist eine nationale Angelegenheit! In den mal weniger, mal stärker offensiven Hinweisen auf die nationale Provenienz von Tagesgerichten, Heimtextilien, Souvenirs oder Zahnfüllungen aber liegt nichts anderes als das Versprechen von Überlegenheit. Man erzählt mir, dass es freundlicher zugegangen wäre, respektvoller, als die Engländer in Santanyí noch die Mehrheit der Besucher stellten. Damals wäre zum Beispiel noch gefragt worden, ob man denn Englisch sprechen würde. Mit den Deutschen aber hätte sich die Atmosphäre geändert.

Was bei alldem in den Hintergrund gerät ist die mallorquinische Kultur. Die flächendeckende deutsche oder zumindest deutschsprachige Infrastruktur ermöglicht es, dass Mallorca zur angenehmen, pittoresquen Kulisse wird, der sich die Touristen hingeben können, ohne sich auf Fremdes einlassen oder sich mit kulturellen Eigenheiten jenseits der Stereotypen Paella, Sangría, Ensaimada und Pan amb Oli auseinandersetzen zu müssen. Mallorca, das bedeutet Überlegenheit, Sonne und Regression.

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Stets geht es über kleine von Steinmauern eingefasste Straßen über Land, stets wird an überraschender Stelle in eine noch schmalere Straße abgebogen, unterwegs Kapuzinerkresse oder letzte Rosmarinblüten geerntet, bis schließlich das Meer zwischen den Pinien erscheint, das Auto stehen gelassen wird und die nächste Bucht über kleine Pfade und steile Treppen zu Fuß schnell erreicht ist. Das ich ausgerechnet in Bucht Nr. 263 lande, die bisher von der Allgemeinheit unentdeckt geblieben ist, ist dem Wohlwollen der Einheimischen zu verdanken. Bucht Nr. 263 ist in keinerlei Hinsicht besonders, sie ist von klarem, tiefblauem Wasser mit türkisen, lichten Flecken wie die anderen auch, nur vielleicht ein wenig kleiner. Sie wird ebenso von scharfkantigen weißen sowie porösen ockerfarbenen und bräunliche Felsen begrenzt. Aufgrund der Felsen, die sich vor die trichterförmige Einfahrt schieben, ist sie vom Meer aus kaum auszumachen. Über ihr spielt der Himmel mit den Farben sein ewiges Spiel, verändert die Erscheinung der Dinge, streckt die Schatten oder vertieft die Kontraste, lässt das Meer aufleuchten oder verblassen. Bucht Nr. 263 ist ebenso wunderschön wie die anderen, die ich gesehen habe. Ungefähr 255 fehlen mir allerdings für einen kompletten Bericht. Muss wohl wiederkommen.

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