Desaster mit Meerblick: in Mallorcas Süden

Während ich in der Serra Tramuntana unterwegs war, hat sich in Palma, in Inca und in Llucmayor das Licht gewandelt, die Temperatur ist nach oben geschnellt und der Wind abgeflaut. Ich sitze im Bus nach Süden, das Innere der Insel ist ein gelb-weißer Blumenteppich geworden, durchsetzt mit lila schimmernden Disteln, zartgrün-knospenden Feigenbäumen, rotem Klatschmohn und Feldern voll von jungem Weizengras. Die Luft wirkt glasklar, sämtliche Formen und Umrisse sind von großer Präzision. Es liegt etwas Furchtbares in der Luft: der Saisonbeginn.

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Santanyí ist eine Kleinstadt unweit der südlichen Küstenlinie, kein großer Strand in unmittelbarer Nähe, keine Hotelketten geschweige denn –burgen vor Ort, die übliche pittoresque Altstadt, mit schmalen Gassen, kleinen, herausgeputzten Plätzen und einem massigen Kirchenbau. Um zehn Uhr öffnen rund um die Kirche die Boutiquen, alle paar Meter werden Kleiderstangen auf die Straße gerollt, daneben Berge an Schals und ausladenden Sonnenhüten drapiert, Aufsteller werden aufgestellt und Markisen entrollt. Was eine halbe Stunde zuvor noch eine normale Straße mit Bars, Bäckerei und Tobaco zu sein schien, verwandelt sich innerhalb von Minuten in eine Orgie aus Pastelltönen und großspurigen Blumenmustern für die Damen, groben Streifenmustern und grellbunter Farbpalette für die Herren. Nichts davon ist günstig, alles stellt gehobene Qualität dar bzw. das, was man sich im Norden darunter vorstellt. Gewiss nicht leicht verständlich, selbst ich muss angesichts solcher Kostümierung an Kinderkleidung denken.
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Ich hatte am frühen Vormittag eine Bar mit Kaffee und Wifi gesucht, war aber nicht wirklich fündig geworden, denn dort, wo es Wifi gab, warb man entweder mit „Frühstück`s Buffet 8:30-12:00“, oder schlimmer noch „Durchgehend warmer Küche“. Dass ich mich an einen der Tische vor der Kirche gesetzt habe, wurde liebenswerterweise von der Kellnerin verhindert, die zeitig genug, so dass ich noch die Kurve kratzen konnte, ein Pärchen fragte
– Darf es noch etwas sein?
Verdacht bestätigt: große Teile der örtlichen Gastronomie befinden sich in deutscher Hand, die Karten sind selbstverständlich auf deutsch, teilweise auch die Gerichte, die Bedienung ebenso, denn das Klientel ist ja sowieso größtenteils deutsch.

Alles ist bereit, alles ist da, selbst der Deppenapostroph wurde erfolgreich importiert. Mitte April jedoch wirkt all dies noch etwas fehl am Platz, denn fast niemand sitzt in den Restaurants und die Boutiquen haben kaum Kunden, sieht man von zwei jungen deutschen Frauen ab, welche die Straße entlang streifen wie satte Katzen, die ausgestellten Stoffe durch die Finger gleiten lassen, das eine oder andere Paar Sandalen kurz anheben und wieder fallen lassen, sich Hüte aufsetzen und weiterziehen.
Der Aufwand aber, der hier betrieben wird, der reine Materialaufwand, zeigt an, mit was man in ein paar Wochen rechnen muss, sobald Touristen in größeren Mengen eintrudeln und die einen Deutschen, die Mallorca besuchen, bei den anderen Deutschen, die Mallorca besitzen, essen, übernachten und einkaufen.

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Das, was sich spätestens während der Hauptsaison an Mallorcas Küsten abspielt, fasst man in Santanyí kurz und bündig als das zusammen, was es ist:
– Un desastre!
Das tägliche Leben würde nur noch eingeschränkt funktionieren und es bedürfe eines erheblichen Maßes an tranquilidad, um mit den Massen an den Stränden, auf den Märkten, in den Straßen und Gassen klarzukommen. Ganz abgesehen von dem Verkehrsrisiko, das die Deutschen darstellen würden.
– Verkehrsrisiko?
– Aber hallo! Nach der Kurve in die Bremsen steigen, mitten auf der Straße anhalten, um eine riesige Karte zu entfalten! Oder mal irgendwo parken, ganz egal wo, um schnell ein Foto zu machen! Por favor!!

PS.: Die offizielle Bezeichnung für einen frisch eingeflogenen Touristen ist übrigens una gamba. Muss man nicht erklären.

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