Echolot vom Prenzlauer Berg

Ich glaube, ich bin der Lyrik wegen Mitte der Neunziger nach Prenzlauer Berg gezogen. Ich wusst’ ja nicht, dass Bert Papenfuss grad’ die Lyra hinschmeißt und Gastronom wird. Auch dachte ich, ich sei spät dran, sieben Jahre nach dem Mauerfall. Spät dran wofür auch immer. Vorletzte Woche habe ich Relo Melchert getroffen, der unter anderem 77/78 die Blätter für junge Literatur herausgegeben hat, die „Temperamente“, und der erste war, der Papenfuss in der DDR veröffentlich hat. Später dann die fristlose Entlassung, Schreibtisch bitte räumen, sofort! Das ging im Arbeiter- und Bauernstaat. Im Prenzlauer Berg habe ich auch zum ersten Mal beobachten können, wie gegenüber meiner Wohnung auf dem Humannplatz Räumpanzer gegen Menschen eingesetzt wurden. Um ein Fest der PDS pünktlich um zehn Uhr abends zu beenden.

Ich habe mir ein Hochbett gebaut - und sofort wieder aufgegeben, weil man von oben nur Asphalt sieht, keine Sterne.

Ich habe mir ein Hochbett gebaut – und sofort wieder aufgegeben, weil man von oben nur Asphalt sieht, keine Sterne. Und ja, das IST eine Lederhose.

Ich hatte meine Boxen auf den Balkon geräumt und TonSteineScherben gespielt, “Alles was wir machen ist verboten”, und bekam prompt Besuch. Daher und weil ich wohl viel Papenfuss gelesen hatte, schrieb ich die unten stehende Abhängigkeitserklärung, die auch, aber ganz nebenbei, eine Liebeserklärung ist. Genauso wie es nur sehr wenige Fotographien gibt, habe ich genau noch eine Datei aus dieser Zeit,  glücklicherweise mit der Gedichtauswahl für meine allererste Lesung in Johannes Wilms’ Restromant. Viel zu schüchtern war ich, meine Texte selber zu lesen, daher übernahm das die Schaupielerin Anna Eger. Deshalb hat mich am Sonntag bei der alkoholischen Lesung auch Carlotta begleitet, mit einem Echo aus früherer Zeit, aus einem ganz anderen, vorvergangenen Berlin.

 

ABHÄNGIGKEITSERKLÄRUNG:


wir – das sind dudich meideiner & mirich
und der staat
leben von staatswegen
auf engstem raum

dieserjener staat findet statt –
in dirmir im supermarkt im geheimen auf offener straße
du&ich – d.h. unsereins sind nicht bloß
wir: sondern auch staatsbürger, d.h. mit
deimeiner zuzukunft bürgen wir für diesen
unseren? staat. du ich also wir
sind zusammen mindeste minderheit; nicht nur wir – alle
allein sind selbst kleinster teil des
wessen-staates. wir ausnahmslos sind bestaatet und
bilden zusammen gefaßt diesen
eben jenen deren-staat, der dort
allerseits und -samt wesentlichst haftet und klebt
an jeder auch deinermich einzel personifikation.
warum/
wieso/
weshalb
gehört nicht in deinmein köpfchen

sondern in jedweden staates jegliche
staatsangelegenheit und das geht so:

wegen sicherheitstechnischer bedenken beim zusammenleben
vieler einzeltäter auf ungeordnetem haufen
gibt es staat;
über allen aber auch für jeden, d.h.
ich einzel wesen wie du einzel person
treten demstaat freiheit ab, damit derstaat
daraus für mich dich alle
rechte macht dann diese und vonrechstwegen
linke tritt d.h.
dieser wesseneigentlich staat das sind unsere meideine rechte
kurz: weil ich trete
tritt derenstaat, also auch ichdir, zurück.
denn wegen selbstschutz ist der gang geregelt.
gegängelt wird wer nicht geregelt geht.

wegen sicherheitstechnischer bedenken betreffs
ungeordneten lebens vieler einzel staatsbildner auch
dudeinermir d.h. wir in kleinster zelle
gibt es staatsschutz;
für alle aber genauso wegen einigen immer anderen, d. h.
kommt zeit kommt rat kommt starker staat und geht uns alle an
kurz: weil ich nicht staatstragend ertrag ich staat und staat
trägt mich wohin er will.
denn alle gewalt geht vom folg aus und das folg ist was folgt.

alldas
ist aber ganz theoretisch praktisch läuft
dieserjener derenstaat auf rechtswegen
auch ohne mich mit mir mit-
unter gegen mich dich andere auch.
denn ordnung tut not falls tut sicherheit not
wendig ist ordnung weil sicherheit notgedrängt ordnung ist das halbe leben.

wir
das sind dudich mirich
&ich dich -?
und der staat – dieserunserer- ?
leben von staatswegen zusammen auf engstem raum
dumichauch?
– also wir.
aber wir zerfallen rein rechtlich schon
in ichunddu.

aber das gehört
beiläufig
nicht hierher.

 

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