Kolasin: montenegrinisches Bergland

Kolasin habe ich mir auf die Schnelle ausgesucht, um nicht in Podgorica nächtigen zu müssen. Lieber noch kurz was anderes anschauen, einen anderen Eindruck gewinnen! Kolasin liegt mitten in den montenegrinischen Bergen, ein paar Stationen und knapp zwei Stunden von Podgorica entfernt, und ist so etwas wie das Sommerfrische- und Wintersportzentrum Montenegros. Es gibt drei, vier Hotels und ein gut verstecktes, sehr teures Resort in einem ansonsten von Landflucht und bäuerlichen Strukturen geprägten Talkessel. Die Bahnfahrt dorthin ist in der Tat spektakulär, die Strecke gewinnt hinter Podgorica schnell an Höhe und führt durch hundert Tunnel, schraubt sich in weiten Kurven hinauf, so dass man Blick auf die Berge und auf die Brücken hinter einem hat, die der Zug gerade überquert hatte. Um halb sechs bin ich da, überlege kurz ob ich einen Euro in ein Taxi investieren sollte, um dann doch lieber in das Dorf hinunter zu laufen. Den ersten, sehr sichtbaren Hinweis auf eine Pension ignoriere ich – wichtige Regel, denn warum dort auflaufen, wo man davon ausgeht, dass ich dort auflaufe. Lieber ein bisschen weiter, und schauen was passiert.

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Kolasin, im Dorf

Was passiert ist Folgendes: Ich biege ab, inmitten von einzeln stehenden Häusern und Wiesen, weil ich am anderen Ende der Straße ein „Market“-Schild ausgemacht habe. Auf halbem Weg sitzen zwei Männer am Tisch, man winkt mich heran, das internationale Zeichen für Schlafen wird benutzt, und: Ja, einen Platz zum Schlafen brauche ich. Gut, erstmal setzen, hier der Stuhl, da der Raki. Nina wird geholt, denn Nina ist Serbin, war jahrelang in Italien als Krieg war und spricht ausreichend Englisch. Und Slobodan wird antelefoniert, denn der hat Betten im Anbau und die sind nicht belegt. Slobo fährt wenig später vor, die ganze Bande steigt ein und wir fahren bergan nach Dulovina, wo Slobo mit seiner Mutter ein altes Bauernhaus bewohnt, das er mit einem Anbau versehen hat, denn Kolasin ist jetzt ja ein Zentrum des Tourismus – jedenfalls für zwei Wochen im Sommer und zwei  im Winter, wie Nina erzählt: In den Sommerferien kämen viele Albaner nach Kolasin, weil die montenegrinischen Berge zugänglicher seien als die albanischen, also über Teerstraßen verfügten und über Grundversorgung. Über Weihnachten und Silvester wäre die Stadt ausgebucht, sonst im Jahr aber der Hund begraben. Vielleicht in drei Jahren, wenn die Autobahn fertig gestellt sei, dann könne es ernsthaft etwas werden, mit dem Tourismus – „maybe tourism gets serious then“, sagt Nina.

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Slobo mit seiner Mutter

Wir sitzen im Garten, feuchter Dunst liegt über dem Tal, drinnen spielt Deutschland gegen Nordirland, das Spiel selbst ist herzlich egal, das Ergebnis jedoch nicht, denn ein jedes männliche Wesen am Tisch hat Wetten laufen. Vor ein paar Tagen hatten sie ein berliner Pärchen zu Gast, welches mir den Gefallen getan hat, ein wenig aufzuräumen mit den Vorurteilen gegenüber den deutschen Landen, indem es die wahren Lohn- und Lebensbedingungen offengelegt hatte. Nina kommt ursprünglich aus Belgrad, sie fährt sie die Strecke Kolasin-Belgrad seitdem sie 16 ist, ich bin gewissermaßen unterwegs in ihre Stadt. Auch Belgrad hätte sich verändert, sei teurer geworden, härter in den letzten Jahren, in den Städten würden sich die Probleme am deutlichsten zeigen. Unser Gespräch ist erratisch, kommt immer wieder auf dieselben Punkte zurück, springt von Thema zu Thema, bricht ab, setzt neu an und entwickelt doch ganz erstaunlichen Tiefgang. Kopfschütteln über Politik und Europa, Einigkeit darüber, dass die Probleme allerorten so unterschiedlich nicht sind. „Früher wollten wir nach Europa“, sagt Nina, „heute wissen wir nicht mehr, warum.“

Ob nicht auf den Berg wolle, morgen, jeder wolle doch auf den Berg? Das Kloster anschauen? Die Kirche? Wie, wirklich nur für einen Tag? Ob ich mir dessen sicher sei? Dafür, dass ich Podgorica geflohen habe, hat man großes Verständnis. Slobo hat zwar eine Wohnung in Podgorcia, hält sich dann aber doch lieber im Bergland auf; ihm ist Podgorica zu unfreundlich, die Leute zu großspurig, zu angeberisch. Da besteht er nicht, da kann er nicht mithalten, mit seinen 65 Jahren. Aber dass ich ernsthaft nur durchreisen will, das stößt auf taube Ohren und wird noch am nächsten Tag immer wieder in Frage gestellt, noch am Bahnhof wird es heißen, ob ich nicht doch lieber bleiben wolle, anstatt die ewig lange Bahnfahrt nach Belgrad auf mich zu nehmen.

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Schon morgens ist es heiß, das Gras ist feucht und das ganze Tal dampft solange, bis sich die Sonne am späten Vormittag durchsetzt, die Berge und das satte Grün der Wälder leuchten lässt, das Heu trocknet und die Menschen in die Schatten jagt. Ich sitze mit Nina und Slobo am Bahnhof, der Zug hat Verspätung, die Fahrt nach Belgrad wird spektakulär werden, spektakulär heiß und spektakulär lang. Ich fahre in die Stadt, dorthin wo die Probleme am drängendsten sind und wo doch alle hinwollen. Alle, außer Slobo und Nina. Manchmal ist es gar nicht so einfach, Orte so schnell wieder zu verlassen.

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