Saranda: Touristen und Ornamente am Bau
Ich sitze am Hafen von Saranda, es ist morgens um neun, die kleine Autofähre läuft ein, kurz darauf das Schnellboot, beide aus Kerkyra. Am Vortag hatte ich sie noch dort vor Anker liegen gesehen. Und noch ein drittes Schiff fährt wenig später ein, Joy Travels steht auf der Bordwand, die Busse nach Butrint warten schon auf die Tagesausflügler. Auf Korfu bewirbt man mittlerweile ausgiebig das „Albanian Adventure“ – für 50 Euro aufwärts. Ein älterer Herr im Anzug, wenig Haare, rundes Gesicht mit drei sehr prominenten Warzen, spricht gezielt ein jüngeres Pärchen an:
– Hello! I have room here. Very very near.
Sie wollen aber nicht, vielleicht haben sie auch schon, jedenfalls manövrieren sie ihre zwei Rucksäcke und zwei Rollkoffer (!) an den Nebentisch und machen das, was Deutsche im Ausland so gerne tun: Sie studieren ausgiebig die Karte. Sie will einen Cappuccino, nichts sonst. Ich überlege, ob ich sie warnen soll, denn grad ist kein Strom da und der Cappuccino wird daher angerührt, beschließe aber mein Inkognito zu wahren. Die Karte ist durchgesehen, die Diskussion beginnt.
– Weißt Du schon?
Sie lächelt ihm angestrengt zu, als gelte es etwas aufzulösen. Er nimmt seine untertassengroßen Kopfhörer vom Hals und sagt irgendwas, ohne die Augen von der Karte zu nehmen.
– Aber wir könnten…
Er sitzt mit dem Rücken zu mir und redet noch leiser als sie, in stiller Opposition. Sie studieren die Karte erneut, sie besprechen die Positionen. Sie streiten leise.
– Nimm Du einfach das, was Du willst!
In zwei Käfigen über unseren Köpfen zwitschern Vögel, der guten Stimmung halber. Hoch oben an einem Pfeiler hängt ein Totem, ein Steinbockgehörn, um das eine Knoblauchgirlande rangt und an dem ein quietschbunter kleiner Teddybär befestigt ist, um die bösen Geister zu bannen. Mit mäßigem Erfolg.
– Das ist doch nur, weil ich grad keinen Hunger hab!
Langsam aber sicher fließt ihr Lächeln hinab und sie passt sich seiner Kälte an. Ein letzter Versuch:
– Dann nimm doch einfach zwei Sachen!
Macht er dann auch schließlich, kommt aber im weiteren Verlauf in Probleme mit der nächsten deutschen Lieblingsdisziplin, dem Aufessen. Daran ist bestimmt gleich sie schuld, aber das warte ich nicht ab.
Die Touristen haben Saranda entdeckt. Ich sehe Italiener flanieren, eine französische Gruppe mit überdimensionierten Rucksäcken auf Strafexpedition, ja sogar zwei hyperblondierte Russinnen beim Stöckeln. Die große Mehrzahl der Selfie-Sticks aber liegt nach wie vor in albanischen Händen: Es ist Sonntagvormittag, die Cafés an der Mole sind voll besetzt, alle sind unterwegs. Glitter und Glitzer, Ornamente am Bau, bestimmen die weiblichen Outfits. Aussagen aller Art sind mittels Pailletten oder Stickereien in Brust und/oder Bauchhöhe angebracht. Life is better with music steht dort zum Beispiel zu lesen, nichts dagegen einzuwenden, aber Nietzsche hat das eindrücklicher formuliert: Ein Leben ohne Musik wäre ein Irrtum. Little princess hätte man gar nicht aufdrucken müssen, das merkt man auch so. Life lived in Love will never be dull – geht inhaltlich in Ordnung, rhythmisch ein Gedicht, aber ob der Grammatik wäre ich mir nicht ganz so sicher und würde einen Muttersprachler zu Rate ziehen. Paris is always a good idea – nun ja, vor vierzig Jahren vielleicht, inzwischen eher ein teures Museum der Bohème mit Slums drumherum. You are someone very special, Smiley drüber – gebongt, aber wer den nun? Alle, die es lesen? Performativer Widerspruch! Enjoy the little things steht quer über Dingern, auf die ganz gewiss ein wenig gespart werden musste. Ganz angetan bin ich von den drei rosarot-gestickten Totenköpfchen mit gekreuzten Knöchlein aus silbrig-glänzenden Applikationen, darunter steht: Funny Bones.
Im Ernst: Wer denkt sich so etwas aus? Kommen die Texter und Designer in den fernöstlichen Fabriken nachts um drei zusammen, um innerhalb einer halben Stunde festzulegen, was sie am nächsten Tag tausendfach raushauen? Oder hat jede Fabrik ihren eigenen Designer, der tagsüber nur japanische Zeichentrickfilme auf japanisch sehen darf, amerikanische Serien der achtziger auf amerikanisch, abends mit irgendeiner legalen Droge zugeknallt wird, sich beispielsweise einen Zuckerschock zuziehen und daraufhin bis morgens um fünf entwerfen muss, um spätestens nach einem halben Jahr verbraucht zu sein? …Mariana Abramovic war es, die ihre Studenten dazu aufforderte, die schlechtesten Ideen konsequent auszusortieren: Um sie anschließend zu verwirklichen! …Dass ein Leben ohne Mops zwar möglich sei, aber sinnlos, das wiederum geht auf Loriot, leider aber nicht auf T-Shirts.