Vevcani: Statistisch gesehen…

Ich habe eine Statistik vorliegen, die Mazedonien zwar auf einem guten Kurs sieht, Privatisierung und so, die geringe Produktivität des kleinen Landes aber beklagt: Statistisch gesehen wäre Mazedonien „unproduktiver“ noch als etwa Albanien oder Montenegro. Ich nehme dies staunend zur Kenntnis, während ich im Bergdorf Vevcani bin. Vevcani ist im Gegensatz zu den beiden Nachbardörfern komplett orthodox, die Wasser schießen geradezu aus den karstigen Hängen des Jablanica-Massives, überall in der Stadt rauscht es in mächtigen, kristallklaren Adern hinab, das Wasser drückt aus dem Berg, es herrscht kein Mangel. Überall, wirklich überall, sind kleine Gärten, selbst Kartoffeln und Zwiebeln werden selber gezogen.

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Vevcani, Ortszentrum

Drei Reihen Mais fallen mir auf, ich komme mit dem Gärtner ins Gespräch: Süßer Mais wäre das, zum selber essen, für die Familie, nicht für das Vieh.  …Ah, aus Deutschland, …ja, Deutschland, …mit 27 sei er hin, mit 63 zurück; heim zur Familie, ins Dorf, zum Garten.
– Ein halbes Leben, sage ich.
– Ein bisschen mehr als das, sagt er.
Ein paar Hühner laufen frei, der Nachbar macht Ziegenkäse, Obstbäume stehen an den Hängen, Äpfel, Pflaumen, Mirabellen.
In Vevcani gibt es keinen Gemüsehandel, weil den keiner braucht. Es gibt lediglich ein paar kleine Läden, Kioske, die das übliche feilbieten: Schokolade, Chips, Bier, Süßigkeiten und tiefgefrorenen Fisch, weil es Fisch in Vevcani nicht gibt.

Hier also meine Frage an die Damen und Herren Statistiker und Ökonomen, in der einen oder anderen Form allesamt Angestellte, die nach Feierabend noch im Supermarkt vorbei müssen: Taucht das denn auf, in der Statistik? Gibt es für euch Arbeit ohne Lohn, oder ist Lohn die Voraussetzung dafür, dass Tätigkeit als Arbeit gilt? Konsum ist nur das, was erkauft wird, richtig? Ihr braucht Geldscheine, Mehrwertsteuer und Ladentische, damit das überhaupt erfasst werden kann. Zwar behauptet ihr, Werte zu vermessen, in Wahrheit aber gibt es diese nur dann, wenn ihnen zugleich Preise anhaften. Wo die Welt nicht käuflich ist, da hört eure Wissenschaft auf, bäuerliche Lebensformen, Subsistenz- und Tauschwirtschaft könnt ihr nicht erfassen, denn dafür fehlt es an Mitteln und an Verständnis. Die Geschenke der Natur und der Überfluss, die Gärten der Welt und die kleinbäuerliche Wirtschaft liegen fern eurer Gefilde, weitab von jeder Statistik.

Blick von den Hängen des Jablanica-Massivs auf den Ohridsee

Blick von den Hängen des Jablanica-Massivs auf den Ohridsee

Ich halte fest: Mazedonien ist ein enorm produktives Land. Große Teile der Nahrungsmittelproduktion und -distribution finden auf lokaler Ebene statt, es herrscht ein regelrechter Überfluss an Tomaten, an Gurken und Zwiebeln, es wird Ziegen- gegen Kuhkäse getauscht oder verschenkt und den Verwandten kistenweise Obst und Gemüse in die Städte nachgeschickt. Ich habe sogar den Verdacht, das der Punkt „Wareneinsatz“ in der Gastronomie nicht beziffert wird, weil alle Produkte aus dem näheren Umkreis kommen, von Verwandten und Bekannten gestellt werden, sogar der Wein ist hausgemacht. Anders kann ich mir die Preise und Portionsgrößen im Restaurant Kutmicevica gar nicht erklären. Ich mache am ersten Abend den Fehler, kann nicht widerstehen und bestelle Salat, Suppe und einen Rind-Leber-Ei-Eintopf, der schlicht großartig ist. Vom Salat alleine wäre ich allerdings auch schon satt geworden, angesichts des sahnigen Ziegenkäses, der süßlichen Zwiebeln, der würzigen Oliven und des frischgebackenen Brotes, welches die Küche überflüssigerweise noch nachliefert.

Ich bin dort für drei Tage einquartiert, denn man hat zwei Gästezimmer oberhalb des Restaurants. Da das Kutmicevica einen gewissen Ruf hat, sage ich nicht nein, als man mich fragt, ob ich denn Frühstück dazu buchen wolle. Wenn man das Glück hat, in einem untrüglich hervorragenden Restaurant recht günstig unterzukommen, dann sollte man die Höflichkeit haben, dort auch zu essen. Was mir dann aber morgens aufgetischt wird, spottet jeder Beschreibung und muss bebildert werden.

Frühstück!

Frühstück!

Die Pläne, auf den Crn Kamen, den Guri i Zi, zu steigen, sind jedenfalls auf Eis, ich komme nicht früh genug los, bin dazu schlicht nicht mehr in der Lage und begnüge mich mit Verdauungsspaziergängen zu den Quellen und hinauf zum alten Kloster auf 1300 Metern, zu mehr reicht es nicht. Und dann droht auch schon bald das Abendessen!

 

PS.: Absoluter Geheimtip, Karneval in Vevcani, immer im Januar

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