Gjirokastra: Vom Nichts des Neuen

mit Kommentaren von Erka Shalari (kursiv)

Morgens sitzen wir beim Kaffee, morgens kurz nach Acht am Pazar i vjeter, als draußen die Presslufthämmer den Seitenstreifen lösen, der aus Steinplatten besteht, die mal mehr, mal weniger breit sind. Sie werden weggerissen und mit ihnen die Flächen vor Tolios Café, weil von nun an gleichförmige Steinplatten verlegt werden sollen, gleich groß, gleich quadratisch.


Tolio verteidigt uns gegen die Arbeiter, er schindet zehn Minuten heraus, auf dass wir den Kaffee draußen noch leeren können. Fatjon ist weggezogen, er hat wahr gemacht, was er mir vor drei Jahren sagte. Floras Restaurant ist dicht und der Geldwechsler hat aufgerüstet, verkauft jetzt kleine Webteppiche und knallrote Fußbälle mit dem Doppeladler Albaniens.

Wo sind Tante Xhemo, Großmutter Selfixhe, wo ist Mutter Pino, und Xhexho? Denen ist doch das gleiche passiert, sie sind verschwunden, „auf ewig zu Stein erstarrt, neben den Spuren von Erdbeben, Wintern und menschlichen Unwettern.“ (Kadare, Chronik aus Stein). Der Bazar wird glatt und gleich und Dein Fatjon und Deine Flora gehen den selben Gang, sie sind zu Stein erstarrt und nur du kannst sie in der Stadt noch sehen: Auch Dein Buch ist jetzt schon historisch. Hättest Du das gedacht?

Was ist die Seele einer Stadt? Sicherlich nicht die reine Struktur, sicherlich nicht die Ansicht der Fassaden, so wie sie vor zweihundert Jahren ausgesehen haben mögen. Die Seele einer Stadt, das ist die Art und Weise, mit der die Menschen, die in ihr wohnen, sie nutzen: es ist das, was diese hinzufügen, wegnehmen, ergänzen. Das Leben ist die Improvisation, die Begrenzheit der Mittel, die Vielstimmigkeit: Die Stadt, das sind die Menschen und nicht in erster Line die Gebäude. Die Stadt, das ist, was ihre Bewohner aus ihr machen. An der Vielfalt erkennt man das Leben, ob in Städten oder in der Natur. Gjirokastras Pazar i vjeter wird diese Vielfalt ausgetrieben, mit Gewalt muss man sagen.

Es ist ein Wahnsinn: Sämtliche Häuser haben dieselben Blumenkästen verordnet bekommen, die Türen und Fenster sind die gleichen, gleichzeitig eingebaut und aus dem gleichen Holz, die Geschäfte werden von einheitlichen Schildern bezeichnet und man hat den Läden die unterschiedlichen Markisen verboten. Wo zuvor verschiedenen Farben verschiedenen Größen für Veschiedenheit sorgten, befinden sich nunmehr einheitlich beige Sonnendächer, die allesamt zu kurz geraten sind, um wirksam vor der Sommersonne zu schützen. Es ist das Werk amerikanischen Geldes, die UNESCO soll involviert sein, mit der Bauausführung ist eine Firma beauftragt, die – vorsichtig formuliert – schon zuvor in Gjirokastra Mangel an Sensibilität und Kenntnis demonstriert hat. Die entsprechende Grundregel ist: Wenn das Geld aus Tirana kommt, dann fließt es auch dorthin zurück. Die Straßen sind sämtlich aufgerissen, an allen Ecken wird gleichzeitig gearbeitet, kein einziger der Arbeiter stammt aus Gjirokastra, alle wurden importiert.

Der Basar ist surreal geworden, jenseitig. Ende April war ich dort und alles lag offen: die Leitungen für Wasser und Elektrizität. Es kam mir vor, als hätte man endlich eine Möglichkeit der dauerhaften Rakiversorgung gefunden, ohne Umweg über Flaschenabfüllung. Für mich ist das alles nicht so schlimm, aber wer jetzt sein Geschäft aufgibt, weiterzieht, der nimmt auch ein Stück dieser Stadt mit sich mit.


Ein Freund von mir meint, man müsse nur den Regen abwarten, dann würde sich das neue Pflaster von selbst wieder lösen, aufbegehren würde es, sich wehren dagegen, dass man das alte der Stadt herausgerissen habe, um es nun neu und schlechter zu imitieren. Er sagt: Was soll’s, das was alle Welt den alten Bazar nennt, das ist doch eh der neue, der alte sei noch weiter unten gewesen und sei von der Geschichte gänzlich verschluckt worden. Ob ich denn glauben würde, dass eine Stadt wie Gjirokastra, die soviele an Siegern kommen und gehen gesehen hätte, nicht auch das amerikanische Geld überleben würde? Noch ist jeder Herr hier gestürzt worden, auch der neue würde bald wieder vergangen sein.

Das nächste Mal, wenn ich in Gjirokastra bin, werde ich in diesem Hotel Sopoti wohnen, wo alles beim alten ist, um so der „Rilindja Urbane“ zu entgehen. Dort werde ich auf einem quietschenden Bett sitzen und Fotos betrachten, alte Fotos mit alten Gebäuden, denen man die Zeit ansieht. Ich werde ein Buch öffnen, ich werde blättern in der „Chronik aus Stein“. Nichts wird glatt und „schön“ sein, alles wird rauh, steinern und doch voller Leben sein, voller Geschichten.

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