Die 36 Stunden des Andreas Schmied (I)

Die Zöllner schlugen am Sonntag vormittag zu, die Bar auf Thasos wurde noch am selben Tag von der Polizei hochgenommen – die SMS mit der Nachricht erreichte mich jedoch erst am Montag. Andreas schrieb: “Guten Morgen, bin noch in Serres, ich habe einen turbulenten Wochenanfang.”

Kavala: Der Ort, wo man einst die Pferde wechselte, heute vom Bus in die Fähre umsteigt.

Ich saß gerade im Bus nach Kavala, um mit der Fähre nach Thasos überzusetzen und dort Andreas zu treffen. Daraus würde nun nichts mehr werden. Es soll Grenzübergänge nach Griechenland geben, an denen die Zöllner nur müde aus ihrem Häuschen heraus winken und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen.

Auch soll es je nach Jahreszeit, aktuellen Direktiven und politischer Gesamtlage richtige und weniger richtige Grenzübergänge geben – ganz davon abhängig, zu welchem Zweck und mit welchem Ziel sie benutzt werden. Dies lies uns später, als die ganze Sache schon fast vorbei war, Giannis wissen. Giannis ist Anwalt aus Thessaloniki und es gehörte zu seinem Tagesgeschäft, Möglichkeiten zu eruieren und Wege zu finden – ob über die Grenze oder durch das Gestrüpp der griechischen Bürokratie. Jedenfalls sagte Giannis, wir sollten ihn nächstes Mal im Vorfeld einfach fragen, und gab uns die Nummer von einem seiner drei Mobilfunkgeräte: “Schildert kurz worum es geht. Dann kann ich gleich antworten, oder ich rufe zurück.”

Einen Weg gäbe es immer, Alkohol zu schmuggeln aber sei die eine Sache, die Wahl der Route die anderen. Den Übergang Telonio an der bulgarischen Grenze zu wählen, wäre jedenfalls ganz falsch gewesen.

Giannis’ Rat in Ehren, aber dass die Route über die E76 unvorteilhaft ist, das hatte Andreas schon selbst herausgefunden, und jetzt ging es auch nicht darum, das nächste Mal, die Wiederholungstat, zu organisieren, sondern darum, zu verstehen, was da überhaupt schiefgelaufen war und warum. Es ging darum, zu verdauen und die Resozialisierung anzugehen, denn die ganze Aktion hatte, wie man sich denken kann, auf der kleinen Insel große Wellen geschlagen.

Aber der Reihe nach: Am Sonntag, den 11. Juni, kommt Andreas Schmied nach 24-stündiger Fahrt am Grenzübergang Telonio an. Der Passat liegt ziemlich tief, als er am Zollhäuschen vorfährt, weil Andreas außer Weinkisten und Gerätschaften auch noch zwei Umzugskartons befördert, in denen mein Kram ist. Das Auto ist voll, aber sauber und aufgeräumt, Andreas trägt trotz der Hitze ein Sakko, denn die Klimaanlage des Passats ist angestellt. Andreas übergibt seinen Reisepass, aber anstatt durchgewunken zu werden, verlassen die Zöllner ihr Häuschen und besehen das übervolle Auto von Nahem:

– Was ist in den Kisten?

– Wein. Ich bin Winzer.

Völlig falsche Antwort.

– Mal rechts ranfahren!

Der Transport von Wein ist, sofern für den Eigenbedarf vorgesehen, von dem einen EU-Land in das andere zollfrei. Nicht jedoch wenn es sich um Ware handelt. Auch nicht um Probeflaschen. Ware muss angemeldet werden, damit sie geprüft werden kann. Das aber hat Andreas Schmied unterlassen. Nicht nur diesmal, sondern auch bei den Fahrten zuvor.

– Wie sind Sie denn so weit gekommen damit? wollte der eine, der freundlichere Zöllner wissen, während sich der andere, der unfreundlichere, schon am Auto zu schaffen machte.

Wenig später wurde Andreas Schmied nach Serres verbracht. Er saß im Fond eines Renault Megane, eskortiert von dem unfreundlicheren der beiden Zöllner, der sichtbar erregt war, ob des großen Fangs, den er gemacht hatte. Die Kindersicherung war aktiviert, der vordere Sessel nach hinten geschoben. Andreas’ eigenes Auto wurde von einem weiteren Polizisten samt des Schmuggelguts nach Serres gefahren, wo sich die nächst größere Polizeistation befindet, die auch über eine Arrestzelle verfügt.

Nach der Aufnahme der Personalien und einem kurzen Verhör, nachdem ihm Fingerabdrücke und Ausweis, Telefon sowie Schnürsenkel und Gürtel (nicht aber die Geldbörse) genommen worden waren, wurde Andreas Schmied genau dorthin gebracht: einen Stock tiefer, in die Arrestzelle. Es stinkt nach Urin, nach Exkrementen, nach wochenlang ungewaschenen Socken.

Andreas teilt sich das Lager mit zwei bulgarischen Schleusern und einem marokkanischen Flüchtling, der auf der Pritsche sitzend ein Buch liest. Die Schleuser wurden schon vor Jahren verhaftet und verurteilt, wurden jedoch, wie sie erzählten, alle paar Wochen von einer Arrestzelle in die andere verschoben, weil Griechenlands reguläre Gefängnisse voll seien. Waschgelegenheiten gibt es in den Arrestzellen nicht (von einer Toilette einmal abgesehen, die zu beschreiben ich allein deswegen unterlassen muss, weil Andreas sich selbst dazu nicht in der Lage sieht), Essen muss bestellt und bezahlt werden.

Der eine Bulgare pumpt Andreas an. Er habe seit Tagen nichts mehr gegessen. Andreas gibt ihm drei Euro, ihm selbst ist nicht nach Essen zumute.

Andreas’ Platz ist an den Gittern, in der angrenzenden Zelle hausen Afghanen, von denen Andreas sagt, sie hätten sich unablässig durch die Zelle bewegt wie ein Rudel Tiger. Tageslicht gibt es kaum, die Fenster sind abgeklebt, ein einziger Halogenspot beleuchtet beide Zellen. Andreas denkt: “Wenn sie mich über Nacht hier lassen, dann ist an Schlaf nicht zu denken, ein Griff und sie ziehen mich ans Gitter und die Geldbörse ist weg.”

Rebetikon in Mikro Kazaviti

Es kommt anders. Nach fünf Stunden Arrest wird er erneut vorgeführt und anschließend entlassen, der Pass wird ihm ausgehändigt: Er solle sich in ein Hotel einmieten und in Serres die weiteren Beschlüsse abwarten. Das Auto samt Schmuggelgut wäre beschlagnahmt und müsse ausgelöst werden, sobald die Strafe feststünde und die Formalien erledigt seien.

Gegenüber der Polizeistation ist ein Kiosk, Andreas trinkt auf einer Parkbank ein Bier und macht an der gegenüberliegenden Fassade die abgeklebten Fenster aus, vor denen ein Bewegungsmelder installiert ist: “Dort also bin ich gesessen!”

An seine Sachen kann Andreas nicht ran, die sind im Auto, also geht er ohne seine Sachen zum nächstbesten Hotel, dem Galaxy, mietet Zimmer Nr. 506, nimmt eine Dusche, wäscht das einzige T-Shirt – 36 Stunden nachdem er in Deutschland losgefahren ist.

Das Zimmer mietet er für eine Nacht, noch weiß er nicht, das weitere folgen werden, bis er das Auto auslösen kann, denn so schnell mahlen die griechischen Mühlen nicht. Was er auch nicht weiß, ist, dass, während er in der Arrestzelle saß, im Auto ein alter Lieferschein gefunden wurde: über acht Probeflaschen zu jeweils 2,50 an die Orpheus-Bar in Skala Prinos, Thasos.

Erst im Laufe des nächsten Tages wird ihm Bescheid gesagt, dass am Abend zuvor die Orpheus-Bar ausgehoben, die verbliebenen Flaschen beschlagnahmt und die Besitzerin aus dem laufenden Betrieb nach Limenas gebracht wurde, um in der dortigen Arrestzelle auf ihren Anwalt zu warten.

Der alte Hafen von Limenas

Noch am Abend des 11. Juni lief die stolze Meldung über die griechischen Polizeiticker, man hätte einem großangelegten Schmuggel deutscher Weine das Handwerk gelegt. Der Schmuggler sei alkoholisiert an der bulgarischen Grenze aufgegriffen und die Komplizen auf Thasos verhaftet worden. Beides stimmt nicht, denn von Verhaftung konnte keine Rede sein, vielmehr von Vorführung und Verhör. Im Griechischen wird jedoch auch zwischen „Psychiater“ und „Psychologe“ kein Unterschied gemacht, so dass „Verhaftung“ und „Verhör“ de facto auf das Gleiche hinauslaufen, auf eine Peinlichkeit.

Selbstversorgung

Dass Andreas Schmied an der Grenze leicht alkoholisiert war (Stichwort: Fahrtbier), wird er wahrscheinlich selbst nicht bestreiten wollen. Was er hingegen abstreitet ist, dass es jemals einen Alkohol-, geschweige den Bluttest gegeben hatte, der die abendliche Polizeimitteilung legitimiert hätte. Selbst das Zollvergehen „Schmuggel“ war zu dem Zeitpunkt, als die Polizei die Orpheus-Bar betrat, von keiner Instanz festgestellt worden: Der fragliche Richter von Serres war noch im Wochenende, Andreas Schmied aber schon als Verbrecher behandelt, abgestempelt und als solcher öffentlichkeitswirksam dargestellt worden.

Was sich auf Thasos am Abend zuvor zugetragen hatte, das erfuhr Andreas erst am Montag vormittag, als ich schon auf der Fähre war. Ich erhielt weitere Instruktionen: „Fahr nach Limenas. Nimm die Weine raus.“

Es gab keine Weine, die ich herausholen hätte können: Unser Freund, der Ziegenhirte, hatte in der Zwischenzeit gehandelt. Ein paar Wochen später fuhren wir zusammen hinauf, in das unwegsame Bergland, um die Kisten wieder zu holen.

 

(zum zweiten Teil gehts hier)

Neue Beiträge per E-Mail erhalten