Im Süden des Südens

Der Hafen von Skala Prinos ist klein und es gibt keine Stadt, die seine Existenz rechtfertigen würde. Schon während der Überfahrt, die von einigen Möwen begleitet wurde, hatte sich etwas gelöst, war die ganze Anspannung und Hektik des Festlands und der großen Städte abgefallen. Der Rhythmus hatte sich verändert.

Thasos hat keinen Flughafen, man muss das Meer überwinden, um dort zu landen. Thasos verlangt Zeit und mir war, als legte sich, einmal dort angekommen, eine sonderbare Ruhe um mich. Mir war, als bewegten sich die Menschen langsamer, als gäbe es den Feinstaub, den Verkehr und die Fahrpläne nicht mehr oder als würden diese nur noch eingeschränkt gelten.

Ich steuerte die nächste Bar an bzw. einen Tisch, den diese direkt am Meer aufgestellt hatte. Wenig später löste sich ein Schatten aus dem Inneren der Bar und überquerte die Straße. Orpheusstand über der Bar geschrieben. Die Servicekraft stellte mir ein Glas Wasser hin, noch bevor sie die Bestellung aufnahm. Es herrschte kaum Verkehr, nur wenige Menschen querten den kleinen Platz, die Insel schien eine der Ruhe.

Ich weiß noch, wie sehr mich diese allererste Szene dort am runden Tisch vor der Orpheus-Bar berührte – die milde Luft, die ankernden Fährschiffe, kaum Verkehr, das beschauliche Skala Prinou, die Möwen, das ferne Festland, diese Klarheit …vom ersten Moment an fühlte ich mich wohl, und wahrscheinlich trug die Überfahrt mit der Fähre zu der Illusion bei, ich sei irgendwo angekommen.

Man kommt aber nicht einfach so an, im Süden des Südens. Vielmehr bricht dieser in einen ein, kommt zu einem wie das Glas Wasser an den Tisch. Der Süden des Südens ist mit einem Mal da, in einer Größe und Klarheit, von denen man im Nachhinein gar nicht sagen kann, wann genau sie ihre Herrschaft antraten, wo genau die Grenze lag.

Es sind jedenfalls nicht die Olivenbäume, die gibt es weiter nördlich auch, es sind nicht die ausufernden Betonbauten, nicht das Meer und nicht die Inseln. Es ist vielmehr das Licht, das die Oliven silbrig schimmern, die Mauern strahlen, das Meer und die Inseln leuchten lässt. Es ist dieses umfassende Licht, das der geringen Luftfeuchtigkeit geschuldet ist und eine Art Transzendez herstellt: Die Dinge blicken über sich hinaus, sie scheinen durch.

Das Licht ist überall, es erreicht sogar die Schatten, es diffundiert durch die Steine. Dies ist der Grund, warum die Häuschen auf den Kykladen allesamt weiß gekalkt sind – nicht wegen der Anmut, sondern wegen der Abwehr: Um möglichst wenige der Sonnenstrahlen durchdringen zu lassen, um Helios so weit wie möglich auszusperren.

Dort, wo ich herkomme, sucht man das Licht. In Griechenland flieht man es, die Verhältnisse kehren sich um und niemand, auch der Tourist nicht, kann sich davon ausnehmen. Der Süden des Südens ist ein molekulares Ereignis, er ist das Ergebnis einer Verdichtung an Farben, einer Vernachlässigung der Form. Er dringt in einen, sobald man ihn betritt. Und man weiß, dass man ihn betreten hat, sobald er einen verändert hat. Dann ist es meist schon zu spät.

Man glaubt, man wäre irgendwo angekommen und stattdessen hat er einen gepackt. Er lässt nicht los, im Gegenteil, mit jedem Tag steigert sich seine Kraft und deine schwindet. Du zerfließt. Deine Kraft zerrinnt. Die Sonne hat dich, das Licht, es ist deines. Du bist das Licht.

 

 

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