Lemberg, Lviv, Lwow und die anderen

Man strecke eine Altstadt zu wahrer Größe, pfeife auf den Anstand, ziehe Zeilen von in Ehren ergrauter Jugendstilhäuser quer durch das Geschehen, reiße die Pflaster wie den Himmel auf, lasse tausend überfüllte, gelbe Marshrutkas durch den Regen schwimmen und die denkbar älteste Tram gegen die allerjüngste antreten, übertreibe alles ein wenig, rudere aber immer auch rechtzeitig zurück – vor allem aber sorge man für sehr viel Polyester, Polyester in sämtlichen Farben und Schattierungen, vom Sport-Outfit bis hin zum Großstadttiger: Willkommen in Lemberg, in Lviv oder in Lwow.

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Großzügig sind in den neueren Stadtteilen, den Quartieren der Jahrhundert- wende, Stadtvillen verteilt, die mit ihren Türmchen, Holzverkleidungen und Giebeln aussehen wie kleine Jagdschlösschen. Sowjetische Mahnmale und nationalistische wechseln sich ab. Blech ist das Material der Stunde, Blech als Zaun, Blech als Dach, Blech als Hausverkleidung. Die älteren Damen sind nur leicht überschminkt, der Stöckelschuh hat sich nicht durchgesetzt, zu schwierig ist das Pflaster. Die Herren über fünfzig laufen im Hemd, ihnen kleben tatarische Schnurrbärte an. Wer jung ist oder sich für jung hält, wer hart ist oder als hart gelten will, der kombiniert Kurzhaarschnitt mit Sportklamotten und dies sind in der Mehrzahl Zhlobs. Das Wort Zhlob ist lautmalerisch und muss nicht erklärt werden.

An den Alleen und Ausfallstraßen stehen tausend bunte Plakate, die sich gegenseitig im Weg sind und ein wenig zu hoch hängen, um Beachtung zu finden unter den emsigen Fußgängern, die vom Bahnhof zu den Trams, von den Marshrutkas zu den elektrischen Autobussen unterwegs sind, Fußgänger, die eilig Wägelchen in die Tram hieven oder es schaffen, sich mit Tüten links und rechts behängt doch noch in die Marshrutka zu drängeln.

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Verwegen weit weg steht übergroß der Bahnhof, aufgepumpter Neoklassizismus und drinnen doch zu klein für all den Betrieb, für die all die Wartenden, die Eilenden, die Anstehenden. Draußen hängen die Zhlobs vor den Kiosken ab und greifen sich mit schneller Geste stehengelassene Bierreste. Die Mütterchen verkaufen am Straßenrand Blumengebinde, die Väterchen ein wenig Mais, Äpfel oder diese nur kurz eingelegte Gurken, die mir nicht bekommen.

Die Altstadt, also der Teil der Altstadt, der noch älter ist als die Gesamtheit der alten Stadt, spart nicht mit Cafés, nicht mit Kirchen und Restaurationen, viel ist hier los, nur der Bär, der hier steppt ist ein ganz anderes Wappentier als jenes der westlicheren Tourismusdestinationen. Lemberg bebt vor lauter Leben, ist laut, ist voll, ist schnell, wenngleich nicht hektisch. Teile des Geschehens sind Rattenrennen, Lebenskampf, andere hingegen Inlandstourismus. Aus Odessa und Kiew kommen die Touristen, denn wo soll man schon hin, in den Urlaub, mit einem ukrainischen Pass? Wer innerhalb der Ukraine die Stadt wechselt, besichtigt so oder so ein anderes Land, eine andere Sphäre.

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Willkommen in Lemberg, oder auch in Lviv bzw. Lwow, ferner in Leopolis oder Lvov, je nachdem aus welcher Richtung man die Stadt ansteuert, welchen Blickwinkel man einnehmen möchte. Lemberg – polnisch, jüdisch, deutsch, österreichisch, russisch, ukrainisch und am besten noch zu verstehen durch ein Wort, welches sich nicht an Landes-, Sprach- oder Kulturgrenzen hält: Galizien.

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