Tage dazwischen

Jeder vernünftige Mensch würde sich in Kobuleti eine anständige Unterkunft buchen und hätte am nächsten Tag einen 4×4 samt Fahrer vor der Tür stehen, der ihn in die Kintrishi Protected Areas hinauffährt. Nicht jedoch ich. Ich gehe ganz da anders vor. Ich strande erstmal in Kobuleti. Und verbringe ein paar Tage dazwischen.

Georgien ´17-3
Die Himmel hängen tief, ein Wolkenbruch jagt den nächsten: Dauerregen, der auf Wellblechdächer fällt. Nicht umsonst nennt sich das, was dort oben in den adjarischen Bergen steht, Regenwald. Vier Tage wird es dauern bis der Regen nachlässt, vier Tage braucht es, bis ich morgens um sieben an der Kreuzung stehe und auf die Marshrutka, auf das Sammeltaxi warte, das nicht kommt. Der Himmel ist klar, der Mond hat eine seltsam grünliche Färbung. Die Marshrutka soll bis nach Chakheti fahren, so wurde mir gesagt, bis zum Eingang des Tals. Ich hatte mir vorgenommen, einfach hineinzulaufen und zu schauen, wie weit ich komme. Zelt und Proviant sind dabei, überflüssigen Kram habe ich im Hotel zurückgelassen, nichts kann passieren!

Georgien ´17-5
Es passiert auch nichts. Es wird heller, der Bäcker öffnet seinen Laden, ich erstehe ein Ofenbrot und frage nach: Die Marshrutka wird nicht kommen. Nicht heute und auch nicht morgen. Also zurück zum Hostel und unterwegs schon Alternativpläne machen: Runter nach Batumi? Dort in die Berge? Zurück nach Chakvistavi? Man braucht Pläne, um sich von Vorstellungen leiten lassen, um sich überhaupt zu bewegen. Auch wenn alle Vorstellungen in die Irre gehen, vielleicht lerne ich das ja noch: planen und den Plan gleichzeitig nicht ernst nehmen. Gleichzeitig, nicht im Anschluss, nachdem er fehl lief und sich stattdessen etwas anderes einstellte.

Georgien ´17-2

Am Vortag war ich früh zu Bett gegangen, hatte zwar noch mitbekommen, dass sich sehr spät abends noch Leute im Hostel eingefunden hatten, von diesen aber nichts mehr gesehen. Jetzt sitze ich auf der Veranda und es stellen sich eine Reihe Georgier ein, von denen einer ein Priester ist. Es stellt sich heraus, dass der Trupp sich anschickt, ins Kintrishi-Tal aufzubrechen. Das sagt mir gerade noch rechtzeitig Amiran, dem das Hostel gehört, und Amiran fragt nach, ob man mich mitnehmen würde. Minuten später landet mein Gepäck im Kofferaum eines Subaru und wir sind unterwegs…

Georgien ´17-4
Wir fahren Konvoi, der Subaru vorneweg, der Toyota mit dem Priester hinterher. Mit durchschnittlich 12 km/h. Noch begreife ich die Zusammenhänge nicht, doch die Sprachbarriere ist nach mehreren Selfies an Wasserfällen (oh, es gibt zahlreiche Wasserfälle!) auch keine mehr. Lediglich der Priester spricht ein paar Worte Englisch, aber auch dessen Vorrat ist nach einigem Hin- und Her aufgebraucht. Geht aber trotzdem, irgendwie. Und langsam begreife ich: Wir sind auf einer Klostertour, besuchen also alle Klöster, die auf unserem Weg liegen. Und wir sind auf dem Weg nach Khino.

Khino

Khino ist der allerletzte Winkel im Tal, erst am späten Nachmittag haben wir ihn erreicht. In Khino steht eine Klosterruine, zusammen mit dem Abt wird ein orthodoxer Gottesdienst abgehalten. Mit uns ist eine Ikone angereist, die bisher im Verborgenen blieb und jetzt an den Klostermauern eine neue Heimat findet. Ich mag die orthodoxen Gottesdienste sehr (es wird fast nur gesungen, die Gebete werden mantra-artig gemurmelt), halte mich jedoch abseits. Zum Empfang der Kommunion werde ich jedoch als letzter dazu gerufen. Ich habe gut aufgepasst, ich weiß was zu tun ist.

Georgien ´17-11
Auf den Berg komme ich nicht mehr, es ist zu spät geworden. Im Anschluss an den Gottesdienst saßen noch alle beisammen und die Trinksprüche galten dem Vaterland, der Familie, den toten Seelen, den Müttern und den Kindern. Ich mochte nicht gehen. Dann, als die Sonne untergeht, fahre ich mit zurück nach Kobuleti. Dorthin, wo ich herkam. Ich lade spät abends lachend meinen Rucksack wieder aus und denke nach über die Tage dazwischen, die Tage des scheinbare Leerlaufs, in denen sich all das angebahnt hatte.

 

(Bildbearbeitung: Alexander Heer)

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